Das Lied des Todes
ihm nicht die Kette durchs Gesicht zu ziehen. Grim rutschte auf den Knien dichter an Asny heran, packte ihre Schenkel und spreizte sie so weit, wie es die Fußfessel zuließ. Akis Herz raste. Er hörte Asny durch den Knebel stöhnen, und er flehte die Götter um Hilfe an. Was sollte er tun?
«Schau genau hin», zischte Grim.
Er drückte Asny das Messer gegen den Hals, schob seine freie Hand unter ihr Gesäß und hob es an, um in sie eindringen zu können.
Mit einem Mal frischte der Wind auf. Eine Böe trieb Rauch in den Laderaum.
Grim ließ Aki nicht aus den Augen. «Ich bin der Erste», raunte er, während er sich langsam auf Asny schob.
Da zerriss ein lauter Ton die Stille der Nacht. Er schwoll an zu einem bedrohlichen Brüllen, begleitet von wütenden, stampfenden Geräuschen.
Grim zuckte zurück. Er ließ Asny los und drehte sich nach der Feuerschale um.
Aki reagierte sofort. Er konnte nicht anders. Musste Asny vor Grim beschützen, was auch immer danach geschehen würde. Er hob die Hände, holte mit der Kette aus und traf Grim seitlich an der Schläfe. Aus einer fingerlangen Wunde lief Blut.
Grim fuhr herum. Er war hart im Nehmen und schüttelte sich nur kurz. Bevor Aki erneut mit der Kette ausholen konnte, warf Grim sich auf ihn. Aki spürte einen stechenden Schmerz im rechten Arm. Dennoch gelang es ihm, Grim von sich wegzustoßen. Grim rollte über die Planken, sprang aber sofort wieder auf.
«Ich … bring dich um!», stieß er hervor. Blut rann von seiner Schläfe und verteilte sich auf seinem Gesicht.
Er wollte einen Schritt nach vorn machen. Doch die Hose hing ihm in den Kniekehlen und behinderte ihn. Schnell zog er sie hoch.
Aki straffte die Kette zwischen seinen Fäusten und hielt sie wie einen Schild vor sich.
Da tauchte wie aus dem Nichts eine Hand hinter Grim auf, legte sich auf seine Schulter und hielt ihn zurück. Grim wirbelte herum – und erstarrte.
Geirmund war vom Tod gezeichnet. Tiefe Falten zeichneten sein Gesicht, aus dem die letzte Farbe gewichen war. Weiß hob es sich von der Dunkelheit ab.
«Verschwinde!», krächzte er.
Grim gehorchte sofort. Er ließ das Messer sinken und schlich wie ein geprügelter Hund zum Deck. Einige Männer, die von dem Lärm geweckt worden und neugierig näher gekommen waren, wichen vor ihm zurück.
Geirmund pumpte Luft in seine Lungen, als setze er zum letzten Atemzug an.
«Haut ab!», brüllte er. «Haut alle ab!»
Die Männer trollten sich.
Geirmund folgte seinem Sohn. Er stieg aus dem Laderaum, ließ sich auf dem Lager nieder und rollte sich in die Decken ein. Dann wurde es still an Bord des Wattenvogels. Der Rauch hatte sich verzogen. Vom Ochsen oder den anderen Tieren war nichts mehr zu hören.
Aki rutschte zu Asny und nahm ihr den Knebel aus dem Mund. Sie bettete schluchzend ihren Kopf in seinen Schoß.
Sie waren davongekommen, dieses Mal noch. Aber Grim würde es wieder versuchen. Wieder und wieder. Er würde nicht eher ruhen, bis er seine Lust und seinen Rachedurst gestillt hatte. Und er würde einen Weg finden, um den Verkauf der Zwillinge zu verhindern. Geirmund hatte bestimmt nicht mehr lange zu leben.
Aki spürte Blut an seinem Arm herunterlaufen. Die Wunde schmerzte kaum, offenbar war der Schnitt nicht tief.
Er beugte sich zu Asny und strich über ihr Haar. Da fiel sein Blick auf etwas, das neben ihren Beinen lag. Die Kette rasselte leise, als Aki danach griff und es aufhob.
Es war der Lederbeutel.
49.
Aki beobachtete Fokko, den anderen Seemann, der für den betrunkenen Ubbo die Nachtwache übernommen hatte. Fulrad war irgendwann aufgewacht und hatte festgestellt, dass Ubbo nicht mehr auf Grim aufpasste. Seither stand Fokko in der Nähe des Laderaums. Er sollte besonderes Augenmerk auf Grim haben, auch wenn dieser bereits schlief. Fulrads Geduld mit dem stumpfsinnigen Trinker war am Ende.
Aki verbarg den Lederbeutel unter der Decke. Seiner Schwester hatte er nichts von dem Fund erzählt. Noch nicht. Sie war eingeschlafen, und er wollte sie erst einweihen, wenn er seinen Plan in die Tat umsetzte. Doch dafür musste erst Fokko verschwinden, der von seiner Position aus nicht nur Grim, sondern auch die Zwillinge im Blick hatte.
Je länger Aki wartete, umso unruhiger wurde er. Wenn der Seemann bis zum Morgengrauen ausharrte, wäre alles verloren. Grim würde den Verlust der Schlüssel bemerken.
Der Mond war bereits ein gutes Stück weitergewandert, als Fokkos Blase das Problem löste. Zunächst begann er von einem Fuß auf
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