Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
Vom Netzwerk:
er in die Stadt gelangte, kam er aus dem Staunen nicht heraus. Dagegen erschien ihm Haithabu wie eine beschauliche Siedlung. Noch nie hatte er so viele Häuser an einem Ort gesehen, noch nie so viele Menschen, so viele Tiere.
    Er ließ sich mit dem Menschenstrom durch die gepflasterten Gassen treiben, vorbei an mehrstöckigen Steingebäuden, zwischen die man Holzhütten gequetscht hatte, damit kein Winkel ungenutzt blieb. Aber Colonia war nicht nur eine große, sondern auch eine laute Stadt. Karren und Wagen rumpelten über die mit Schlaglöchern übersäten Wege. Rufe und Stimmengewirr erfüllten die Gassen. Männer fluchten, Frauen keiften, und Kinder weinten. Aki hörte Schweine grunzen und Pferde wiehern. Vor seinen Füßen huschten Ratten über den Boden. In einer Gasse schüttete jemand den Inhalt eines Eimers aus einem Fenster. Stinkender Abfall klatschte auf die Straße.
    Aki machte einen Bogen darum und ging weiter durch das Labyrinth aus breiten und schmalen Wegen, aus verwinkelten und engen Gassen. Je tiefer er in die Stadt drang, desto unruhiger wurde er.
    Wie sollte er hier jemals Ketil finden?
    Die Zeit drängte. Viel zu lange schon war er von Asny getrennt. Inzwischen konnten Grim und Geirmund sie überall hingebracht haben. Ob sie sie bereits verkauft hatten? Es würde die Suche nach ihr viel schwieriger machen, wenn sie inzwischen in einer verlausten Sklavenhütte oder auf irgendeinem abgelegenen versteckten Gehöft war.
    Aber Aki würde nicht ruhen, bis er wieder mit Asny zusammen war. Dessen war er sich sicher – er musste sie aus der Gewalt der Sklavenhändler befreien oder aus der ihres neuen Besitzers, wer auch immer das war und wo auch immer dieser sein mochte.
    Dafür war er bereit, alles aufs Spiel zu setzen. Auch sein Leben.
    Eine gute Woche war seit dem Feuer auf dem Schiff vergangen, und Aki vermisste seine Schwester immer mehr. Auch Velva und Gyda vermisste er. Aber der Verlust seiner Zwillingsschwester überdeckte jeden anderen Schmerz. Es war ein Gefühl, als wäre sein Herz in zwei Hälften gerissen worden, und so war es ja auch.
    Das letzte Mal hatte er sie an dem Morgen nach seinem Sturz vom Wattenvogel gesehen. Er hatte sich im eiskalten Wasser ans Ufer gerettet und sich bis zum nächsten Morgen hinter einem Gebüsch versteckt. Aki fror so sehr, dass er befürchtete, die Nacht nicht zu überstehen. Doch er biss die Zähne zusammen und überlebte, musste überleben.
    Er hatte gehofft, der Wattenvogel sei vom Feuer so stark beschädigt worden, dass Fulrad das Schiff zum Land bringen würde. Dann hätte er vielleicht eine Gelegenheit bekommen, Asny zu befreien.
    Diese Gelegenheit kam nicht. Der Wattenvogel war manövrierfähig. Das Ruder und die Riemen waren vom Feuer offenbar verschont geblieben. Aki musste mit anschauen, wie das Schiff aus der Bucht gerudert wurde.
    Kurz bevor der Wattenvogel den Fluss erreichte, hatte sich Asny noch einmal umgedreht, und Aki war versucht gewesen, ihr ein Zeichen zu geben. Ein Zeichen, dass er noch lebte. Ein Zeichen, dass sie die Hoffnung nicht verlieren durfte. Bevor er sich jedoch dazu durchringen konnte, hatte sie sich wieder abgewandt, und dann war das Schiff aus seinem Blickfeld verschwunden.
    Nach einer Meile Fußmarsch landeinwärts war Aki auf einen Pfad gestoßen, auf dem er dem Fluss stromaufwärts folgte. Als er an einem Hof vorbeikam, wartete er auf die Nacht, schlich sich an und fand in einem Schuppen alte Kleider. Doch sein Körper war so ausgekühlt, dass er nach zwei Tagen krank wurde. Sein Kopf fühlte sich an, als würden Hämmer von innen gegen seinen Schädel schlagen. Seine Nase tropfte, und seine Gliedmaßen schmerzten bei jedem Schritt. Dennoch gönnte er sich keine Ruhe, sondern lief weiter, immer weiter. Er trank Wasser aus klaren Bächen und aß Flechten, Rinde und Insekten, wie er es im Wald gelernt hatte.
    Einmal stieß er auf ein Heerlager. Hunderte Soldaten hatten das Ufer besetzt, von dem aus Fähren und Lastkähne zur anderen Flussseite pendelten und neue Soldaten von einem Hafen herüberbrachten. Aki nahm an, dass die Burg, die über einer weitläufigen Siedlung auf der anderen Flussseite thronte, die Diusburg war, von der Fulrad gesprochen hatte.
    Es war gut möglich, dass dort der Wattenvogel im Hafen lag, und Aki überlegte ernsthaft, auf die andere Seite zu kommen. Er verwarf den Gedanken jedoch wieder. Es war unmöglich, an den Soldaten vorbei auf eine der bewachten Fähren zu gelangen.
    Nein, er sah nur einen

Weitere Kostenlose Bücher