Das Lied des Todes
dem es keinen Grund zum Lachen gab. Mit Lachen setzte sie sich zur Wehr gegen die dunklen Gedanken, gegen die Erinnerungen, etwa an den Mann, der sie damals ihrem Vater abgekauft und auf seinen Hof gebracht hatte. Der Mann hieß Bovo und war ein Sachse, ein Bauer, ein Trinker und Schläger.
Zwei Jahre hatte Bovo Malina getreten wie einen Hund, hatte sie bei Hagel und Sturm auf die Felder gejagt, hatte sie missbraucht. Er scherte sich einen Dreck darum, ob sein Weib oder seine Kinder mit im Raum waren, wenn er über Malina herfiel. Sein eigenes Weib fasste der Bauer nicht mehr an, und wahrscheinlich war dies der Frau sogar ganz recht.
Eine Zeitlang gelang es Malina, ihr Elend still zu ertragen. Doch irgendwann war ihre Kraft zu Ende. Sie spürte, wie ihr die Kontrolle entglitt und ihre Gedanken sie zum Weinen brachten, wenn sie doch hätte lachen müssen. Wenn sie aber ihre Fähigkeit zu lachen verlor, verlor sie ihr Leben. Dann hätten die dunklen Gedanken gewonnen.
So kam es, dass Malina zum ersten Mal einen Mann töten musste.
An jenem Abend schleifte Bovo sie zum Feuer im Wohnraum der Hütte. Die Kinder spielten mit Schnitzfiguren, Bovos Weib saß am Webstuhl. Er befahl Malina auf Knie und Hände, mit dem Gesicht zum Feuer. Er zog ihre Tunika hoch und begann, sich an ihrem Körper zu vergehen, während seine Frau angestrengt weiterwebte und die Kinder spielten. Durch einen Tränenschleier fiel Malinas Blick auf den Schürhaken, und mit einem Mal sah sie keinen anderen Ausweg mehr. Sie nahm das Eisen aus dem Feuer und wirbelte herum. Das Eisen traf Bovo seitlich an der Schläfe und riss ein fingerbreites Loch in seinen Schädel. Er kippte vornüber und gab keinen Laut mehr von sich.
Später dachte Malina manchmal, dass in den Schreien der Frau und der Kinder nicht nur Entsetzen, sondern auch Erleichterung gelegen hatte. Aber vielleicht bildete sie sich das nur ein, so wie sich schreckliche Erinnerungen verändern konnten, wenn man mit einem Lächeln an sie dachte.
Malina war in die Nacht hinausgerannt, fort von der Hütte, fort vom Hof, über Felder, in einen Wald. Bis sie nicht weiterlaufen konnte. Auf einer Lichtung ließ sie sich erschöpft ins kühle Gras fallen und schlief mit einem Lächeln ein.
Am nächsten Tag lief sie nach Westen. Sie lebte eine Zeitlang in den Wäldern bei Räubern, die sie auch nicht besser behandelten als Bovo, lief weiter, bis sie irgendwann nach Colonia kam. Bei einer erfahrenen Hure lernte sie das Handwerk. Sie mochte diese Arbeit nicht, aber sie brauchte Kleidung, sie musste essen. Weil sie wusste, dass die Männer nur das eine von ihr wollten, konnte sie dies ebenso gut für Geld machen. Die meiste Zeit hielt sie sich in Colonia auf. Wenn sie jedoch von größeren, nicht weit entfernten Versammlungen erfuhr, wie Reichstagen oder Heeresaufmärschen, ging sie mit anderen Huren dorthin. Wo viele Männer waren, war auch viel Geld, und so war sie vor einigen Tagen wieder einmal nach Aquisgranum gekommen.
Die Münze, die sie heute Abend dem Freier abgenommen hatte, war wahrscheinlich nicht wertvoll. Sie würde aber für eine kleine Mahlzeit und zwei oder drei Bier reichen. Der Freier, dessen Namen sie nicht erfahren hatte, war so betrunken gewesen, dass er auf ihren Brüsten einschlief, gleich nachdem er gekommen war. Sie hatte sich von ihm befreit, die Münze eingesteckt und das Haus in der Nähe des Palas verlassen. In der Pfalanza kannte sie sich inzwischen aus, hatte sich an den vergangenen Abenden Freier gesucht und im letzten Sommer sogar in der Palasküche Arbeit gefunden.
Sie kam zur Tür, vor der zwei Soldaten standen. Als sie Malina sahen, grinsten sie schief, sagten aber nichts. Einer klopfte viermal gegen die Tür. Das war das Zeichen für die Huren, die an Tagen wie diesen, wenn in der Pfalanza Feste gefeiert wurden, ein und aus gingen. Die Hurerei wurde stillschweigend geduldet, um die Gäste bei Laune zu halten.
Von außen wurde das Klopfzeichen erwidert. Daraufhin schob der Soldat den Riegel zur Seite und öffnete die Tür. Malina trat hindurch und stieß auf zwei weitere Männer, die den Eingang auf der anderen Seite der Mauer bewachten. Ihre bärtigen Gesichter grinsten auf Malina herab. Der Soldat, der links von ihr stand, legte ihr mit leichtem Druck eine Hand aufs Gesäß. Schnell schlüpfte sie an den beiden vorbei. Als die Männer ihr hinterherriefen, was sie mit ihr und den Lanzen, mit denen sie bewaffnet waren, anstellen wollten, ließ sie ihre Lippen
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