Das Lied des Todes
jemand sie beobachtete.
61.
Aki wusste, dass er in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde. Er saß mit überkreuzten Beinen auf einer Schilfmatte in der Hütte, die man der Abordnung von Sankt Pantaleon bei der Pfalanza zugewiesen hatte. Es stank nach Urin und Dung, da die Hütte normalerweise als Stall für Schweine und Ziegen genutzt wurde. Durch ein schmales Fenster fiel Mondlicht herein und zeichnete einen hellen Streifen auf Ketils breites Gesicht.
«Nein», sagte der Isländer.
«Doch!», erwiderte Aki.
Ketils Kiefermuskeln mahlten. «Es ist zu gefährlich – viel zu gefährlich!»
Einige Mönche drehten sich zu ihnen um. Sie hatten sich zur Komplet, dem Tagesabschluss, am anderen Ende der Hütte um eine Kiste versammelt, auf die sie ein Kreuz gestellt hatten. Sie warteten auf die anderen beiden, wussten aber auch, dass es keinen Zweck hatte, den eigensinnigen Ketil aufzufordern, an der Komplet teilzunehmen, wenn er nicht wollte.
Ketil dämpfte seine Stimme. «Das kannst du nicht machen, Junge.»
Die Mönche wandten sich wieder dem provisorischen Altar zu und stimmten einen Psalm an.
Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat, wir wollen uns freuen und fröhlich sein in ihm …
«Er hat dich schon einmal beinahe erwischt. Du kannst froh sein, dass du noch lebst. Wenn die Soldaten auch nur einen Augenblick länger hinter dem Zelt geblieben wären …»
«Dann hättest du mich nicht rechtzeitig herauslassen können. Ja, ich weiß! Du hast es mir Dutzende Male vorgehalten, Ketil. Ich bin dir sehr dankbar, dass du mich gerettet hast. Aber ich muss Asny sehen. Heute Nacht! Versteh doch – ich muss wissen, wie es ihr geht. Die Ungewissheit bringt mich um. Du hättest sie sehen sollen. Diese Kleider, dieser Schmuck …»
Aki schluckte. «Er hat sie ‹meine Königin› genannt. Kannst du dir das vorstellen?»
Ketil hob und senkte die Schultern. «Vorstellen nicht. Aber ich glaube es, weil du es sagst, und das macht auch für mich die Sache nicht gerade einfach.»
Ach, Herr, hilf! Ach, Herr, lass wohl gelingen! Gesegnet sei der, der kommt im Namen des Herrn. Wir segnen euch vom Haus des Herrn aus
…
Ketil knetete seine Hände. «Das kann ja nur bedeuten, dass Thankmar deine Schwester zu seiner Braut machen will – zur Braut eines Königs. Und was das wiederum bedeutet, macht mir ebenfalls große Sorgen. Herr Brun hat es zwar nicht so deutlich ausgesprochen – zumindest mir gegenüber nicht. Aber ich glaube, er befürchtet, dass Thankmar bei der Krönung übermorgen eine ganz große Sache plant.»
Er warf einen Blick zu den Mönchen, die in ihren Psalm versunken waren.
Der Herr ist Gott, er hat uns Licht gegeben. Bindet das Festopfer mit Stricken an die Hörner des Altars!
«Er hat es auf den Thron abgesehen», flüsterte Ketil und pulte an einem losen Halm, der aus der Schilfmatte ragte.
«Seitdem du mir davon erzählt hast, Aki, plagt mich mein Gewissen. Ich hätte Brun davon berichten müssen! Dann hätte er jedoch wissen wollen, woher ich es weiß, und es wäre aufgeflogen, dass wir ihn hintergangen haben.»
«Mach dir keine Vorwürfe. Der Erzbischof ist gleich am nächsten Tag abgereist. Du hattest also gar keine Gelegenheit dazu.»
Ketil zupfte den Halm aus der Matte und betrachtete ihn, als sei er für irgendetwas wichtig.
«Doch, die hatte ich.»
Aki schaute seinen Freund überrascht an. «Wann denn?»
«In derselben Nacht, nachdem wir aus dem Heerlager zurückkamen. Da bin ich zu ihm gegangen, um ihn zu bitten, bei der Krönung dabei sein zu dürfen.»
«Davon hast du mir gar nichts erzählt.»
Ketil senkte den Blick und wickelte den Halm um die Kuppe seines linken Zeigefingers.
«Ich wollte dir keine falschen Hoffnungen machen. Bei der Krönung sind nur ausgewählte Gäste zugelassen, Menschen von Amt und Würde. Herzöge, Fürsten, Bischöfe und solche Leute. Aber ganz sicher keine einfachen Mönche, die noch nicht einmal zur Komplet mit ihren Brüdern singen. Es sei denn …»
«Es sei denn?»
«Es sei denn, die einfachen Mönche sind in Besitz einer Urkunde, die sie als rechtmäßige Gäste des Erzbischofs von Colonia ausweist.»
«Du sprichst in Rätseln.»
Ketil drehte aus dem Halm eine Schlinge und zog sie um seine Fingerkuppe zusammen. «Die Sache ist mir äußerst unangenehm. Also, ich habe eine Urkunde …»
Der abgeschnürte Teil seines Fingers schwoll an. Ketil beugte sich vor. Er sprach nun so leise, dass Aki ihn kaum noch verstehen konnte.
Im
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