Das Lied des Todes
auf.
«Brun!», rief Otto. Seine Stimme hallte von den hohen Steinwänden wider. «Da seid Ihr ja endlich!»
Erzbischof Wilhelm, der neben Otto saß, räusperte sich.
Als Brun näher kam, erhoben sich die beiden anderen Männer von den Stühlen. Sie trugen purpurfarbene Mäntel und breite Hüte, von denen kleine Quasten an Schnüren herabhingen. Brun kannte die Kardinäle Victor und Josephus von früheren Begegnungen. Nachdem man sich begrüßt hatte, nahm Brun neben Otto Platz und flüsterte ihm ins Ohr: «Er ist eingetroffen.»
Otto hob die Augenbrauen, erwiderte jedoch nichts, sondern wandte sich den Gästen zu. «Kardinal Victor und Kardinal Josephus reisen im Auftrag des Papstes Johannes. Sie überbringen die besten Wünsche und den Segen des Heiligen Vaters.»
Die Kardinäle nickten so eifrig, dass die Quasten an ihren Hüten wackelten.
Natürlich überbrachten sie die Wünsche des Papstes. Brun wusste jedoch, dass ihnen noch etwas anderes auf dem Herzen lag. Etwas, das ihnen viel wichtiger war.
«Ja, der Segen des Heiligen Vaters …», murmelte Victor und verstummte. Er betrachtete seinen linken Daumennagel.
Auch Josephus sah aus, als ob er nicht genau wüsste, wie er aussprechen sollte, was ihm im Kopf herumging.
«Wird Papst Johannes sein Versprechen halten?», fragte Otto.
Seine Stimme war tief und hatte einen wohltönenden Klang. Sie konnte aber auch laut und scharf werden.
«Oh, das wird er, ganz sicher», versicherte Victor.
Er beendete das Studium seines Daumennagels, als Otto sich vorbeugte, die Ellenbogen aufstützte und die Spitzen seiner Finger gegeneinanderlegte.
«Es freut mich, das zu hören», sagte er.
Dann dämpfte er seine Stimme: «Es war in der Vergangenheit nicht immer gegeben, dass Zusagen eingehalten wurden, weil …»
Er ließ das Ende des Satzes bewusst offen, um nicht der Erste zu sein, der das Ungeheuerliche aussprach.
«Ja», bestätigte Victor nur.
Josephus ließ erneut die Quasten an seinem Hut wackeln. «Wir – und da spreche ich nicht nur für uns beide – haben großes Interesse daran, dass Ihr unser Kaiser werdet, damit …»
«Damit?», fragte Otto.
Die Kardinäle wechselten einen Blick.
«Damit Ihr den Papst auf den Pfad der Tugend und der Gottesfürchtigkeit zurückführt», antwortete Victor.
«Hat er diesen Pfad jemals beschritten?», fragte Otto.
Die Frage stand für einen Moment im Raum. Brun wartete gespannt darauf, wann die Kardinäle ihre Zurückhaltung ablegen würden. Das Treiben des Papstes war ein offenes Geheimnis. Es gab nicht wenige Männer, die behaupteten, dieser Papst habe Sünden erfunden, die seit Anbeginn der Welt unbekannt gewesen seien.
«Er ist … noch so jung», meinte Josephus schließlich. Es sollte wohl wie eine Entschuldigung klingen, hörte sich jedoch wie eine Anklage an.
Papst Johannes hatte das Heilige Amt im Alter von sechzehn Jahren angetreten, nun war er zweiundzwanzig.
Otto legte seine Hände flach auf den Tisch. «Ist es nicht besser geworden?»
«Im Gegenteil!», begann Victor. «Neulich hat er vor dem Altar der Mutterkirche dem Teufel zugetrunken. Und beim Würfeln hat er Zeus, Venus und andere Dämonen angerufen. Die Glücksspiele bezahlt er mit den Opfergaben. Er hält zweitausend Pferde und füttert sie mit in Wein getränkten Mandeln und Feigen. Er belohnt die Gefährtinnen seiner Liebesnächte mit goldenen Kelchen von Sankt Peter. Er wälzt sich in den Lüsten …»
«Der Lateran gleicht einem Hurenhaus», rief Josephus. «Weiber! Weiber überall!»
Die Kardinäle bekreuzigten sich, und Otto, Brun und Wilhelm taten dies ebenso.
«Wenn Ihr erst Kaiser seid», sagte Victor, «werdet Ihr Euch dann der Sache annehmen?»
Otto richtete sich in seinem Stuhl zur vollen Größe auf und zupfte seine mit Seidenstreifen durchsetzte Tunika zurecht, die er unter einem blauen Umhang trug. «Ich werde nicht untätig bleiben, wenn die Kirchenfürsten eine entsprechende Bitte an mich richten.»
«Das werden wir!», rief Josephus und ergänzte dann leiser: «Es gibt Geistliche, die beten jeden Tag und jede Nacht um sein Ableben.»
Brun war überzeugt, dass auch Victor und Josephus zu diesen Geistlichen gehörten.
Er warf Otto einen auffordernden Blick zu. Es wurde Zeit, die andere Angelegenheit unter sechs Augen zu besprechen.
Als hätte der König die Gedanken seines Kanzlers erraten, beendete er das Gespräch, indem er zu den Kardinälen sagte: «Ich danke Euch für die Aufrichtigkeit und freue mich,
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