Das Lied des Todes
sein Mantel, ebenso die Haare und der ungepflegte Bart. An den Handgelenken trug er silberne Armreife.
Malina leerte den Becher und schob dem Wirt die Münze hin. Er schüttelte den Kopf, gab ihr das Geldstück zurück und verharrte plötzlich in der Bewegung. Sein Gesicht verfinsterte sich.
«Habe ich mich nicht klar ausgedrückt?», fragte er an Malina vorbei.
Sie zuckte zusammen, als sich von hinten eine schwere Hand auf ihre Schulter legte. Sie drehte sich um.
Der Soldat hatte zwei Männer als Verstärkung mitgebracht.
«Bleib ruhig, Fettsack!», sagte er zum Wirt. «Wir nehmen das Weib mit.»
«Ich arbeite heute nicht mehr», widersprach Malina.
Der Soldat zog die Augenbrauen zusammen. «Seit wann befiehlt das Weib einem Mann, was er zu tun hat?»
Die Männer rückten so dicht an sie heran, dass jeder Fluchtweg versperrt war. Mit einem breiten Grinsen kniff ihr der Soldat in die linke Brust. Malina schrie auf.
«Du hast mich in meiner Ehre verletzt, Hure. Weißt du, was ich mit Männern mache, die so etwas wagen? Ich schneide ihnen die Eier ab.»
Er kniff Malina in die andere Brust. «Aber für dich werde ich mir etwas anderes überlegen müssen …»
Sie riss ihr rechtes Knie hoch, um es dem Kerl in den Unterleib zu rammen – und dieses Mal traf sie.
Der Soldat heulte auf.
«Raus hier! Alle!», hörte Malina den Wirt rufen.
Jemand packte ihren Kopf und drückte ihn auf die nasse Theke. Sie bekam Bier in die Nase.
«Halt dein Maul», keuchte der Soldat in Richtung des Wirts und machte sich von hinten an Malinas Tunika zu schaffen.
Lächle, forderte sie sich selbst auf. Es wird schnell gehen. Der Kerl ist aufgeregt. Er hat sich nicht unter Kontrolle.
Doch der Soldat kam nicht dazu. Malina hörte ein schepperndes Krachen und sah Tonscherben auf die Theke fallen. Der Druck auf ihren Kopf ließ nach und verschwand dann ganz.
Im Gasthaus war es totenstill geworden.
Malina richtete sich auf und drehte sich um.
Der Soldat, der sie festgehalten hatte, lag mit einer stark blutenden Kopfwunde auf dem Boden und bewegte sich nicht. Die anderen waren einige Schritte zurückgewichen und hatten ihre Kurzschwerter gezogen.
Neben Malina stand der dunkle Mann, in der Hand ein Schwert mit langer Klinge, die er auf die beiden Soldaten richtete. Einen Augenblick lang schienen alle im Gasthaus wie erstarrt. Dann brach die Hölle los.
63.
Er sieht den Thron auf dem Hügel stehen, umgeben von einem Meer aus Leichen. Die Wolken reißen auf, und ein Sonnenstrahl, scharf wie ein Schwert, flutet die Welt mit gleißendem Licht. Die Krone, das Schwert, die goldene Lanze – die Insignien der Macht. Sie liegen bereit.
Bereit für ihn!
Er watet durch das Blut der Toten. Erklimmt den Hügel, greift nach den Insignien. Seine Hand nähert sich.
Dann stürzt er ab!
Eine unsichtbare Kraft zerrt ihn fort von Thron und Krone, hinein in ein Loch, das sich zwischen den Leichen auftut. Immer tiefer wird er hineingezogen in den Schlund der Hölle. Der Aufprall ist hart, raubt ihm die Sinne.
Als er aufschaut, sieht er ihn. Satan. Der Dämon aller Dämonen, der gefallene Engel. Satan reißt ihm die Eingeweide aus dem Leib, wirft ihn glutäugigen Bestien zum Fraß vor und dann ins ewige Feuer …
Und ihr Lachen gellt in seinen Ohren wider. Ihr Lachen! Sie lacht über ihn. Sie triumphiert.
Deine Seele versinke in Qualen! Fahr hin zur Hel, von Hunden zerfleischt …
Thankmar schlug die Augen auf und sah sich zusammengekrümmt in seinem Zelt liegen. Zwischen seinen Zähnen steckte der Stiel eines Holzlöffels. Er keuchte, sein Atem ging stoßweise. Allmählich beruhigte sich sein Herz wieder. Der Anfall war der schlimmste seit langem gewesen.
Er spuckte den Stiel aus. Seine Zähne hatten tiefe Abdrücke im Holz hinterlassen.
Endlich war er bei der Pfalanza angekommen, dem Ort, an dem die Gebeine des alten Herrschers Carolus Magnus lagen. Es war der Ort, an dem Thankmar auferstehen würde, der Ort der Entscheidung über Sieg oder Niederlage, über Leben oder ewige Finsternis.
Er wusch sein Gesicht mit kaltem Wasser über einer Schale, trocknete sich ab und ging zu der brennenden Tranlampe. Die Flamme warf flackernde Schatten auf das Gesicht der Frau, die an Händen und Füßen gefesselt auf einer Decke lag und ihn anstarrte.
«Ich könnte dich töten», sagte er leise, «um dich an meinen Schmerzen teilhaben zu lassen. Ich könnte mich an deiner Angst weiden und dir die Qualen zufügen, die ich zu ertragen
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