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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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davon hatte er genug in seinem Trinkschlauch. Er hatte verdammten Durst auf Bier. Auf starkes, mit Honig versetztes Bier, das man da, wo er herkam,
öl
nannte und das auf dem Hof seines Vaters reichlich gebraut wurde, wenn ein Gelage anstand.
    Ein ganzes Fass könnte er jetzt austrinken. Seit Tagen hatte er an nichts anderes gedacht als an ein ordentliches Gelage. Nun hatten sie endlich diese Pfalanza erreicht und die Zelte errichtet, als Ernust sie mit dem Befehl überraschte, der Graf habe für die kommenden zwei Tage ein absolutes Bier- und Weinverbot angeordnet. Das galt auch für die Blutmäntel, zu denen Vemund gehörte.
    Der Befehl hatte für erhebliches Gemurre im ganzen Heer gesorgt. Dennoch würde es niemand wagen, sich darüber hinwegzusetzen. Was mit Männern geschah, die die Anordnungen des Grafen missachteten, hatte er ihnen einmal eindrucksvoll vor Augen gehalten. Er hatte einen Soldaten, der bei einer Nachtwache betrunken eingeschlafen war, vor versammelter Menge ausgepeitscht, bis der Körper des Mannes nur noch ein blutiger Klumpen Fleisch war.
    Daher zog Vemund es vor, die Augen zu schließen und sich den Gedanken an ein Gelage hinzugeben. An ein Gelage mit Bier, fettem Fleisch und einem schönen Weib an seiner Seite.
    Das war es schließlich, wofür es sich lohnte zu leben. Und zu sterben. Vemund sehnte sich nach nichts mehr, als in der Schlacht zu fallen und von den Walküren als Einherjar auserwählt zu werden. Das war das Schicksal der Tapfersten aller Tapferen, der Einherjar. Vemund war überzeugt, zu den Auserwählten zu gehören und nach dem Tod bis in alle Tage in Odins Walhall zu trinken, zu essen und sich den Weibern hinzugeben.
    Die Christen nannten so etwas
paradisus
, Paradies, aber Vemund glaubte nicht, dass sie damit dasselbe meinten. Die Christen, denen er begegnet war, waren verstockte, staubtrockene Nörgler wie dieser Bischof Poppo in der Dänenmark. Auch Vemunds Herr, Graf Thankmar, verstand sich nicht aufs Feiern, obwohl auch er gelegentlich trank. Vemund hatte ihn gesehen, damals beim Aufbruch auf der Eresburg. Steifbeinig war der Graf zu seinem Pferd gewankt, auf das er ohne die Hilfe seines Hauptmanns Ernust nicht heraufgekommen wäre.
    Nein, Vemund hatte wahrlich nicht den Eindruck gehabt, dass der Graf Spaß gehabt hatte mit seinem Rausch.
    Jemand knuffte Vemund in die Seite. Er öffnete die Augen. Bresti grinste ihn schief an.
    «Ich schlafe nicht», knurrte Vemund.
    «Es sah aber so aus.»
    «Ich denke an Bier.»
    Bresti, ein Däne wie Vemund, seufzte zustimmend.
    «Hör dir die anderen an», sagte Vemund und zeigte in Richtung der Zelte des Sachsenkönigs. Aus der Ferne drang der Lärm der trinkenden und feiernden Soldaten des Königs an Vemunds und Brestis Ohren.
    «Zwei Tage noch», meinte Bresti.
    «Und bis dahin müssen wir Wasser saufen und uns die Beine in den Bauch stehen.»
    Ernust hatte die beiden zur Wache am Eingang des Grafenzeltes eingeteilt. Andere Blutmäntel hatten Posten an den Seiten und der Rückwand bezogen. Warum in Colonia mit einem Mal das ganze Zelt tagsüber und nachts abgeriegelt werden musste, hatte ihnen niemand verraten. Natürlich gab es Gerüchte, und viele Männer meinten, der Graf hüte darin einen kostbaren Schatz. Gesehen hatte ihn aber keiner.
    Vemund wusste nur von dieser Frau, die der Graf seit der Diusburg versteckte. Niemand außer Ernust und dem Graf selbst durften seither das Zelt betreten. Vemund hatte die Frau nur zweimal gesehen. Das erste Mal, als sie verdreckt und in zerrissenen Kleidern ins Heerlager bei der Diusburg gebracht worden war. Das zweite Mal, als sie in Colonia aufgebrochen waren und Ernust sie zu dem mit Zeltbahnen abgedeckten Ochsenkarren geführt hatte, in dem man sie während der Reise transportierte. Vemund erkannte die Frau kaum wieder, so sehr hatte sie sich verändert. Sie war eine verlauste Sklavin gewesen, und nun war sie atemberaubend schön. Ihr langes, gekämmtes Haar glänzte wie Gold, und ihre Haut war rein wie frisch gefallener Schnee.
    Seither träumte Vemund von der Frau und von Bier natürlich. Aber eigentlich noch mehr von der Frau. Wie es wohl wäre, so ein Weib auf einem Gelage bei sich zu haben und dann mit ihr das Lager zu teilen?
    Er seufzte leise. Die Frau war unerreichbar für ihn, zumindest so lange, bis er in die Walhall einzog. Dass er dessen würdig war, würde er den Göttern in der großen Schlacht schon noch beweisen. Dorthin sollten sie bald ziehen, in ein Land, das man

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