Das Lied des Todes
vergnügten. Auf dem Marktplatz hatten geschäftstüchtige Einwohner aus Brettern, Pfählen und Tüchern notdürftige Unterstände als Bierschenken errichtet. Andere hatten in ihren Hütten und Werkstätten Bänke, Tische und Theken aufgestellt, um den unzähligen Soldaten das zu bieten, was diese suchten – Abwechslung vom eintönigen Lagerleben.
Malina beschloss, den Tag in dem Gasthaus ausklingen zu lassen, in dem sie auch an den Vorabenden eingekehrt war. Die Hütte stand ein wenig abseits vom allgemeinen Trubel rings um den Marktplatz. Dennoch drängten sich drinnen gut drei Dutzend Soldaten und grell geschminkte Huren an den Tischen. Hinter einer Theke, die aus einem breiten, auf Fässer gelegten Brett bestand, füllte der Wirt Bier in Krüge ab, die von seinen drei Töchtern und seiner Frau verteilt wurden. Der Wirt war ein kräftiger Mann mit rundem Gesicht und Doppelkinn. Seine Töchter waren nicht gerade das, was man als schön bezeichnen konnte. Aber sie hatten ausladende Hüften und große Brüste, und das gefiel den ausgehungerten Soldaten.
Malina spürte die Blicke der Männer, während sie sich zur Theke durchkämpfte, erwiderte aber keinen dieser Blicke. Für heute hatte sie genug.
Der Wirt schaute kurz auf, als sie vor die Theke trat, runzelte die Stirn und wandte sich wieder den Krügen zu.
«Ein Bier», sagte Malina, «und Brot und Käse.»
«Hast du Geld?», wollte der Wirt wissen.
Malina holte die Münze hervor.
«Käse gibt es nicht mehr.»
«Und Brot?»
«Auch nicht.»
«Bier ist vermutlich auch ausverkauft», meinte Malina.
Der Wirt schenkte einen Becher voll und schob ihn zu ihr hinüber. «Wasch dein Gesicht», knurrte er.
«Mein Gesicht?», fragte Malina.
Der Wirt antwortete nicht. Eine seiner Töchter kam hinter die Theke. Sie nahm zwei Krüge in jede Hand und warf Malina einen skeptischen Blick zu, bevor sie mit dem Bier wieder verschwand.
Malina trank einen Schluck, was ihr Magen mit einem wütenden Knurren kommentierte.
«Du willst Brot?», fragte eine Stimme.
Sie drehte sich um. Hinter ihr stand ein Soldat, ein großer Kerl mit breiten Schultern und einem vom Trinken geröteten Gesicht. Er glotzte Malina aus wässrigen Augen an und hielt ihr einen Kanten dunkles Brot hin.
Malina zögerte. Der Soldat machte nicht den Eindruck, als wolle er ihr das Brot ohne Gegenleistung geben.
«Ich bin nicht hungrig», log sie und wandte sich ihrem Bier zu.
«Hast du ein Schwein geschlachtet?»
Der Mann stand jetzt neben ihr, das Brot noch immer in der Hand.
Das Lächeln entglitt Malinas Lippen. Nun wurde ihr klar, was die Bemerkung des Wirts zu bedeuten hatte. Verdammt – das Blut! Es war wie eine Fontäne aus dem Hals des Mönchs gespritzt.
«Das war … ich habe mich geschnitten», sagte sie schnell und schaute sich nach einem Lappen um. Zwischen den Krügen lag einer, mit dem der Wirt die Bierpfützen vom Brett wischte.
«Beim Rasieren, was?», sagte der Soldat lachend.
Malina fuhr sich mit dem feuchten Lappen über das Gesicht. Sie musste fürchterlich aussehen.
«Blut und Schminke», bemerkte der Soldat. «Das gefällt mir.»
Sie spürte seine Hand auf ihrem Arm.
Nicht schon wieder, dachte sie.
Der Soldat beugte sich zu ihr herunter und flüsterte ihr ins Ohr: «Komm mit! Du kriegst Brot und eine Münze.»
«Nein!»
Malina schüttelte die Hand ab.
«Willst du mich für dumm verkaufen, Weib?», knurrte er. «Du bist eine Hure, und ich bezahle dich.»
Malina schloss die Augen und betete zu den Schutzgöttern ihrer Heimat, dass der Kerl einfach verschwinden möge. Aber er rückte dichter an sie heran. Sein bierschwerer Atem kitzelte ihre Stirn.
«Komm mit!», zischte er.
Die rechte Hand des Wirts klatschte auf die Theke. «Ich will hier drin keinen Ärger haben. Entweder geht ihr beide raus, oder du suchst dir ein anderes Weib.»
Der Soldat starrte den Wirt an. Seine Kiefermuskeln bewegten sich, als kaue er auf einem Stück Leder herum. Dann stapfte er zu seinem Tisch zurück.
«Danke», sagte Malina.
Der Wirt zuckte mit den Schultern. «Trink aus und verschwinde.»
Malina nickte. Sie sollte sich tatsächlich zurückziehen in das Zelt, das sie sich mit anderen Huren aus Colonia teilte.
Als sie den Becher ansetzte, sah sie aus den Augenwinkeln, wie die Tür geöffnet wurde und ein großer, mit einem dunklen Mantel bekleideter Mann das Gasthaus betrat. Er blieb am Eingang stehen und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Seine Augen waren dunkel wie
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