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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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zumindest denjenigen, die dann noch lebten.
    Sein Plan war so einfach wie genial. Er hatte überlegt, ob er – wie schon auf der Eresburg – den Wein vergiften sollte, sich dann aber dagegen entschieden. Dies hier war eine vollkommen andere Situation. Der Wein wurde, wie auch alles andere, vorgekostet, ehe man den König damit bediente.
    So hatte sich Thankmar schließlich dafür entschieden, eine Speise zu vergiften, und als er herausbekam, dass der König für sein Leben gern Schwäne aß, wusste er, was zu tun war.
    Nach dem Aufbruch des Heeres in Colonia hatte Thankmar Ernust vorausgeschickt. Ernust machte den Koch ausfindig und überzeugte ihn mit einigem Nachdruck davon, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen. Ernust hatte bei der Wahl der Mittel freie Hand. Aber es stellte sich heraus, dass keine Anwendung von Gewalt nötig war. Der Koch hatte sehr schnell zugestimmt – natürlich aus Angst. Aber vor allem hatte ihn wohl die Aussicht auf eine angemessene Belohnung überzeugt. Die von Ernust ausgesprochene Drohung, das Haus des Kochs mitsamt seiner Familie darin anzuzünden, wäre daher unnötig gewesen. Alles verlief nach Thankmars Plan. Auch Bartholds Bitte, beim Festmahl als Truchsess zu dienen, war gewährt worden. Schließlich war man der Meinung, Barthold wolle den König mit Soldaten tatkräftig unterstützen.
    Thankmar sah, wie sich der König zu seinem Erzkanzler beugte, der neben ihm saß, und sich leise mit ihm besprach. Der Kanzler nickte langsam. Als der König sich wieder zurücklehnte, bedachte der Kanzler, ob beabsichtigt oder nicht, Thankmar mit einem Blick, der ihm gar nicht gefiel.
    Er wusste nicht, warum ihn dieser Blick beunruhigte. Er schob es auf seine Anspannung.
    Dennoch fiel ihm auf, dass der Kanzler ganz grau im Gesicht war, obwohl heute auch für ihn ein Tag der Freude sein sollte. Schließlich hatten die Verräter einen neuen König gekürt.
    Otto hob seinen Becher. Alle im Saal folgten der Aufforderung, auf den neuen König zu trinken. Auf Gott! Auf das Reich! Auf die Macht! Ja – auf den König!
    Auf mich, dachte Thankmar und trank.
    Als der König seinen Becher wieder abstellte, brachten Diener die Platten mit den gebratenen Schwänen für die Königstafel in den Saal. Den übrigen Gästen wurden unterdessen Enten aufgetischt.
    Thankmar sah einen der Diener zu einem kleinen Tisch gehen, an dem Barthold und ein Sklave ihn erwarteten. Thankmar war sicher, dass auch Barthold aufgeregt war, aber keine seiner Bewegungen verriet seine Anspannung. Er war ein hervorragender Mann. Thankmar würde ihn mit einem entsprechenden Amt ausstatten, ihn vielleicht sogar zum Erzkanzler ernennen.
    Der Diener stellte den Braten auf den Tisch. Barthold schnitt ein Stück Fleisch ab, öffnete dann die Nähte und legte reichlich vom Obst auf eine Platte, die er dem Sklaven reichte. Der Sklave, der bereits den Wein vorgekostet hatte, begann zu essen.
    Thankmar spürte seine Handflächen feucht werden. Er berührte sein Amulett, den Holzspan.
    Der Sklave aß und aß, und sein angstbleiches Gesicht bekam mit jedem Bissen, den er hinunterschluckte, wieder mehr Farbe.
    Thankmar entspannte sich. Das Gift hätte längst gewirkt.
    Mit einem Mal spürte er ein warmes Kribbeln im Nacken, als würde er beobachtet. Er warf einen Blick über seine Schulter. Ganz in der Nähe stand ein Diener, der mit einem der vergifteten Schwäne wartete. Hinter dem Diener sah Thankmar einen Mönch.
    Er atmete tief ein. Es war nur ein Mönch. Aber warum stand er nicht weiter hinten bei seinen Brüdern?
    Er atmete langsam wieder aus. Die Aufregung ließ ihn schon Geister sehen.
    Der Vorkoster hatte Fleisch und Obst verspeist. Sein Gesicht verriet, wie erleichtert er war. Und satt.
    Der König hob die rechte Hand.
    Thankmar verfolgte aus den Augenwinkeln, wie der Diener den anderen Schwan zum König brachte. Natürlich würde sich Otto nicht mit dem Braten verköstigen lassen, von dem zuvor ein Sklave gegessen hatte.
    Der Diener schnitt ein ordentliches Stück ab und legte es vor dem König auf eine Holzplatte. Ein angenehm würziger Bratengeruch stieg in Thankmars Nase, ein intensiver Geruch, der alle anderen Gerüche überdeckte.
    Gleich war es vorbei, für immer vorbei …
     
    Der Graf hatte ihn gesehen!
    Hakon verharrte in seiner Bewegung. Hatte er ihn erkannt? Nein, unmöglich. Sein Gesicht war unter der Kapuze verborgen, und der Graf hatte sich wieder umgedreht. Fünf Jahre waren vergangenen, seit sie im Wald bei

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