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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Zeit wieder ins Freie.
    Überrascht drehten sich die drei Männer um, die vor seinem Haus Wache standen. Sie gehörten zu Thankmars Haustruppe. Ihre Mäntel schimmerten dunkelrot. Einer der Soldaten ließ schnell einen Weinschlauch hinter dem Rücken verschwinden. Die Männer waren angetrunken, was ihre lauten Stimmen erklärte. Natürlich war Wein während der Wache verboten. Aber offenbar hatten sie nicht damit gerechnet, an diesem Abend gestört zu werden, zumal sie den Grafen schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen hatten.
    «Herr», stammelte einer der Soldaten, der Wido hieß. «Wir dachten, Ihr schlaft bereits …»
    Thankmar überlegte kurz, ob er die Männer für ihren Ungehorsam bestrafen sollte. Aber er verwarf den Gedanken. Jetzt gab es Wichtigeres zu tun.
    «Ihr tragt ja Eure Rüstung», bemerkte Wido.
    «Bringt mir mein Pferd», entgegnete Thankmar.
    Während einer der Soldaten loslief, fragte Wido, ob sie Thankmar begleiten sollten.
    «Es ist nicht ungefährlich im Wald», meinte er. «Es wird bald dunkel.»
    «Hast du mich schon einmal kämpfen sehen?», entgegnete Thankmar.
    Wido nickte, der andere Soldat ebenfalls.
    «Was glaubt ihr also, wer mehr Angst haben muss? Ich oder ein paar zerlumpte Gestalten?»
    In dem Moment kehrte der Soldat mit Thankmars gesatteltem Pferd zurück. Thankmar saß auf, gab dem Pferd die Sporen und preschte durch das geöffnete Burgtor.

14.
    Am Waldrand, unweit der Burg des Markgrafen, bereitete Hakon sein Nachtlager vor.
    Unterhalb einer großen Eiche diente ihm eine Lage aus Reisig und trockenem Laub als Polster, darüber breitete er eine Decke aus. Nachdem er Schwert, Bogen und Pfeilköcher abgelegt hatte, streckte er sich auf dem Lager aus und hüllte sich in seinen Mantel. Auf dem Rücken liegend, schaute er hinauf in den Baum, dessen Äste sich vor dem dunkler werdenden Himmel abzeichneten wie verschlungene Arme. Auf einem der Äste, oben in der Krone, saß der Rabe, der in der Dämmerung nur noch als schwarzer Punkt auszumachen war.
    Am nächsten Morgen würde Hakon wieder in die Eiche klettern, so wie an diesem Morgen und dem davor und an jedem Morgen der vergangenen Tage. Dann würde er wieder die Burg beobachten, die nur wenige hundert Schritt vom Waldrand entfernt war, und auf den Grafen lauern.
    Irgendwann musste er herauskommen, und so lange würde Hakon warten.
    Seit er auf der Lauer lag, war das Tor nur selten geöffnet worden. Hin und wieder ritten Soldaten hindurch, manchmal kamen Händler. Einmal war der Bischof aufgetaucht und am nächsten Tag wieder verschwunden.
    Hakon hatte kurz überlegt, ob er dem Bischof folgen und ihn töten sollte. Das wäre ein Leichtes gewesen, denn der Bischof ritt nur in Begleitung eines einzigen Soldaten. Dafür hätte Hakon jedoch seinen Posten verlassen müssen und vielleicht den Grafen verpasst.
    Er hatte auch darüber nachgedacht, in die Burg einzudringen, diesen Gedanken jedoch wieder verworfen. Es war zu gefährlich. Die Anlage war von einem hohen, mit Holz befestigten Erdwall umgeben. Hinter der Brustwehr patrouillierten Tag und Nacht die Soldaten mit den roten Mänteln. Hakon schätzte, dass die Haustruppe des Grafen aus mindestens drei Dutzend schwer bewaffneten Männern bestand. Für einen einzigen Mann schien es unmöglich, unbemerkt in die Burg einzudringen, nach dem Grafen zu suchen und ihn umzubringen.
    Nein, es blieb Hakon nichts anderes übrig, als zu warten. Aber wie lange noch? Der Herbst schritt voran. Die Nächte waren bereits unangenehm kühl. Bald würde es die ersten Nachtfröste geben. Und mit jedem Tag, der den Winter näherbrachte, fuhren wegen der drohenden Herbststürme weniger Schiffe in den Norden nach Hladir.
    Während er wie an jedem Abend diese Gedanken wälzte, überkam ihn die Müdigkeit. Er glitt gerade in den Schlaf, als das heisere Krächzen an seine Ohren drang.
    Sofort öffnete er die Augen wieder, schlüpfte aus Mantel und Decke und erhob sich vom Lager. Es musste etwas geschehen sein. Der Rabe würde ihn niemals grundlos rufen. Mit zwei, drei Sätzen war Hakon auf der Eiche und sah im letzten Tageslicht, dass das Burgtor geöffnet worden war. Aus der Ferne waren die Geräusche von Pferdehufen zu hören. Ein Reiter galoppierte durchs Tor und hielt auf den Weg zu, der nicht weit entfernt von Hakons Beobachtungsposten in den Wald führte.
    Der Reiter würde ganz nah an ihm vorbeikommen.
    Ob es sich dabei um den Grafen handelte, war für Hakon noch nicht zu erkennen. Aber sein

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