Das Lied des Todes
Blutmäntel ihn nicht erkannt, und für die restlichen Münzen würde er noch genug Lebensmittel kaufen können.
Nicht weit vom Eingang entfernt entdeckte er den Ochsenkarren wieder. Der Wagen stand bei einer aus Stangen und Brettern errichteten Bude, vor der der Händler die Schaffelle auf die Auslage räumte. Die Ladefläche leerte sich rasch, aber das Messer hatte man noch nicht entdeckt.
Aki überlegte noch, wie er das Messer unbemerkt unter den Fellen hervorholen konnte, als sich mehrere Kunden dem Stand näherten. Der Händler schien bekannt zu sein. Man pries seine Waren in höchsten Tönen und begann sogleich mit ihm zu feilschen.
Aki schlich sich an den Karren. Mehrere Male musste er seine Hand zwischen die Felle stecken, bis er das Messer endlich wiederfand. Er schob es hinter den Gürtel und zog den Mantel darüber.
Während er über den Platz schlenderte, hellte sich seine Stimmung auf. Es roch nach Rauch und Dung, duftete aber auch nach Honig und Gewürzen, nach gebratenem Fleisch und frischer Räucherware. Es gab Stände mit Kleidern, mit Schmiedewaren, mit Kämmen und Schmuck von Perlenketten über Ringe und Armreife bis hin zu silbernen Fibeln. Aki genoss die Gerüche und den Anblick der herrlichen Dinge, die er so lange entbehrt hatte, und je länger er dem bunten Treiben zusah, desto freier fühlte er sich.
Nachdem er eine Runde gedreht hatte, nur um zu schauen und all die Eindrücke auf sich wirken zu lassen, leistete er sich an einem Stand ein Stück Lamm, das über einem offenen Feuer gebraten wurde. Während er es mit Heißhunger verschlang, lauschte er Musikanten, die auf Knochenflöten spielten, und schaute anschließend einem Ringkampf zu, bei dem sich zwei halbnackte Sklaven in einer Schlammpfütze wälzten.
Plötzlich fiel ihm siedend heiß ein, warum er eigentlich hier war. Als er nachsah, stellte er ernüchtert fest, dass er nur noch sechs Münzen hatte.
Im Kopf ging er noch einmal die Sachen durch, die er mitbringen sollte. Dann suchte er nach einem Stand, an dem er Zwiebeln und einige Hände voll Bohnen in Körbe packen ließ. An anderen Ständen kaufte er kleine Säcke mit Gerste und Roggen zum Brotbacken, außerdem Pökelfleisch und Dörrfisch, den man
skreið
nannte. Nachdem er das ganze Geld aufgebraucht hatte, hatte er so viel gekauft, wie er gerade noch tragen konnte.
Leider war es nun an der Zeit, den Marktplatz wieder zu verlassen. Zu gerne hätte er noch länger den Musikanten zugehört und den Kämpfen zugeschaut. Er sehnte den Tag herbei, an dem es für ihn wieder vollkommen normal sein würde, die Annehmlichkeiten eines normalen und freien Lebens zu erleben. Aber es half nichts – er musste zu den anderen in den Wald zurück.
Als er sich auf den Weg zum Ausgang machte, hörte er mit einem Mal eine schrille Frauenstimme, die nach dem «blonden Jungen» rief. Meinte sie etwa ihn?
Aki drehte sich nach der Stimme um. Vor einem Zelt sah er an einem langen Tisch die Soldaten sitzen, die ihm das Geld abgenommen hatten. Arnulf und Gevehard! Jeder der beiden hatte einen mit Bier gefüllten Becher vor sich stehen. In den Armen hielten sie auffallend geschminkte Frauen, vermutlich Huren. Gevehard flüsterte der Frau an seiner Seite etwas ins Ohr, woraufhin sie Aki zu sich winkte.
Doch Aki rührte sich nicht vom Fleck. Nach der ersten Begegnung mit den beiden Blutmänteln hatte er keine Lust auf eine Wiederholung. Allerdings war er mit Waren vollbepackt. Er konnte unmöglich weglaufen, ohne die Sachen zu verlieren. Nein, er hatte keine andere Wahl und ging zu dem Tisch.
Die Hure in Gevehards Arm musterte Aki. «Ein hübscher Junge bist du, vielleicht etwas dreckig, aber hübsch.»
«Und er hat Geld», meinte Gevehard höhnisch.
«Ist das wahr?», sagte die Hure, dann rief sie nach jemandem.
Am hinteren Ende des Tisches hob eine andere Frau den Kopf. Sie war blond, jung und wäre ohne die Schminke im Gesicht sicher hübsch gewesen. Als sie sich erheben wollte, griff ein Mann, der neben ihr saß und Aki den Rücken zukehrte, nach ihrem Arm und zog sie unsanft zurück auf die Bank. Die Frau stieß einen wütenden Schrei aus und versuchte sich aus dem Griff zu winden. Dessen ungeachtet presste der Mann, der lange, fettige Haare und ein ziemlich breites Kreuz hatte, ihr einen Kuss auf den Hals.
Die beiden Huren, die bei Arnulf und Gevehard gesessen hatten, sprangen auf und eilten ihr zu Hilfe. Die Blutmäntel verzogen die Gesichter. Sie mussten nun ihrer Pflicht nachkommen
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