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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Hand gepackt – und dann brach sein Genick mit einem hässlichen Knacken.

24.
    Das Geräusch von Hufschlägen lockte Thankmar ans Fenster.
    Ernust ritt in vollem Galopp über den Hof der Markgrafenburg. Soldaten liefen aus dem Weg, als das Pferd mit schweißnassem Fell an ihnen vorbeijagte. Vor dem Haus des Grafen brachte Ernust es zum Halten. Er sprang hinunter, hastete zur Tür und hämmerte dagegen.
    «Graf Thankmar!», rief Ernust. «Öffnet! Öffnet bitte!»
    Thankmar entriegelte die Tür. Er hatte das Schwert gegürtet, darüber trug er seinen besten Mantel aus purpurfarbenem Stoff. Der Saum war mit dem weißen Fell von Eisfüchsen abgesetzt. Die kostbaren Felle stammten aus Hladir, sie hatten Sigurd gehört.
    «Wo kommst du her?», fauchte Thankmar den Hauptmann an. «Ich erwarte wichtigen Besuch. Du hättest längst hier sein müssen, um die Soldaten in Stellung zu bringen, wenn …»
    «Ich muss Euch etwas mitteilen, Herr!», erwiderte Ernust, der nach dem harten Ritt noch immer außer Atem war. «Wir haben …»
    «Unterbrich mich nicht, Soldat», fuhr Thankmar dazwischen. «Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Ruf die Männer zu den Waffen. Sie sollen Eindruck auf meinen Gast machen.»
    «Ja, Herr. Natürlich, Herr. Aber es ist … wir haben den Sohn der Seherin aufgespürt!»
    Das verschlug Thankmar die Sprache.
    Die Seherin! Endlich! Das war eine gute Nachricht. Oh ja – eine sehr gute Nachricht. Doch warum jetzt? So lange schon ließ er nach dem Zauberweib suchen, und ausgerechnet jetzt, da so vieles auf dem Spiel stand, gab es endlich eine Spur von ihr.
    «Wo ist sie?», wollte Thankmar wissen.
    Ernust senkte den Blick. «Er … der Sohn … ist geflohen.»
    Thankmar trat dicht vor Ernust. Er überragte den robusten Glatzkopf um Haupteslänge.
    «Du hast ihn entkommen lassen? Sag, dass das nicht wahr ist. Seit vier Jahren ist das der erste Hinweis auf die Seherin – und du lässt ihren Sohn laufen!»
    «Er war nicht allein», erwiderte Ernust kleinlaut. «Da war ein Mann bei ihm, ein riesiger Mann. Es war dieser Mönch, Ihr wisst schon, Herr. Er hat Gevehard und Arnulf getötet, hat beiden das Genick gebrochen. Nur mir gelang die Flucht.»
    «Du bist vor einem Mönch geflohen?»
    Thankmar war fassungslos. Gevehard und Arnulf, beides gute, im Kampf erprobte Männer, waren getötet worden, und der beste Mann seiner Haustruppe war vor einem Mönch weggelaufen wie ein feiges Weib.
    «Wo habt ihr den Jungen aufgetrieben?», fragte Thankmar.
    «Auf dem Markt an der Wieglesdor des Danewerks.»
    Thankmar holte tief Luft. Wäre heute ein gewöhnlicher Tag, wäre er umgehend aufgebrochen, um die Seherin zu jagen. Aber jeden Augenblick konnte Evurhard eintreffen, und den Mann durfte Thankmar auf keinen Fall versetzen. Nein, diese Angelegenheit hatte jetzt Vorrang vor allen anderen.
    «Wir unterhalten uns später darüber», sagte er. «Und jetzt sorg dafür, dass sich die Soldaten bereit machen.»
    Dann knallte er die Tür zu und ließ Ernust davor stehen.
    Seufzend wandte er sich um und ging drei Schritte in den Raum.
    «Ich nehme an, dass Ihr alles mit angehört habt», sagte er zu Poppo.
    Der Bischof nickte. Er trug eine frisch gewaschene Kutte und saß an dem für das Treffen aufgebauten Tisch.
    «Das Teufelsweib lebt also doch noch.»
    «Sicher ist das nicht», erwiderte Thankmar nachdenklich. «Ernust hat nur von dem Jungen gesprochen.»
    «Wenn seine Mutter tot wäre», meinte Poppo, «wäre der Sohn längst verschwunden, irgendwo im dänischen Königreich untergetaucht, oder noch weiter weg. Nein, ich bin überzeugt, die Seherin lebt noch.»
    «Wie könnt Ihr Euch dessen so sicher sein?», fragte Thankmar.
    «Mit ihren Tätowierungen und den verbrannten Armen würde jeder sie wiedererkennen, daher kann sie sich nicht frei bewegen. Sie ist auf die Kinder angewiesen. Da gab es doch auch zwei Töchter, wenn ich mich richtig erinnere …»
    «Aber wie kommt dieser Mönch ins Spiel?»
    Poppos Blick glitt von Thankmar weg und richtete sich auf irgendeinen unsichtbaren Punkt in der Kammer. Dem Bischof war anzusehen, dass ihm diese Sache äußerst peinlich war. Schließlich war es seine Schuld, dass der Mönch entkommen war.
    «Vielleicht war er auf dem Weg zum Treenehafen», sagte er so leise, als rede er mit sich selbst. «Dabei ist er wohl irgendwo auf die Seherin gestoßen.»
    «Der Hafen ist zwar ein gutes Stück vom Marktplatz entfernt», sagte Thankmar. «Aber das würde dennoch das

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