Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
Sperlinge, die auf einem Fenstersims hockten und sich um einen Kanten Brot stritten. Beinahe konnte sie das aufgeregte Tschilpen der graubraun gefiederten Vögel hören, so lebendig wirkte die Szene. Wie die anderen Darstellungen von Tieren und Pflanzen, die Anna in Dürers Werkstatt gesehen hatte, war auch diese an Genauigkeit und Ausführung kaum zu übertreffen.
» Ja, das ist wirklich großzügig von ihm. «
» Ein Geschenk, das ich nicht annehmen würde « , räumte Anna ein, » wüsste ich nicht von Frau Dürer, dass es ein Zeichen der Entschuldigung ihres Mannes sein soll. «
» Das ist auch nötig « , bestätigte Sebastian finster. » Was wirst du mit der Zeichnung anfangen? Willst du sie verkaufen? Dürer hat sie mit seinem Monogramm versehen. Das Bild dürfte dir ein hübsches Sümmchen einbringen. «
Anna ließ das Blatt sinken. » Nein, ich werde das Geschenk in Ehren halten. Ich glaube, Lenchen ist wach geworden. Lass uns in die Küche gehen. « Sie zwinkerte ihm zu. » Das Mus ist sicher längst kalt. «
KAPITEL 32
S ebastian öffnete die Tür zur Werkstatt des Steinmetzes, hinter der laute Hammerschläge zu hören waren, und trat ein. Barbaras Vater saß auf einem Schemel vor einem Steinblock. In der rechten Hand hielt er einen Hammer, die andere umfasste einen unterarmlangen Meißel. Er ließ den Blick durch den Raum schweifen. Der Zweck der meisten Werkzeuge, die an langen Nägeln an den Wänden hingen, war ihm fremd. Nur wie der Meister mit der Messlatte, verschiedenen Winkeln und einer Schablone arbeitete, hatte Herr Freisler ihm bei einem Besuch erläutert.
Als der Steinmetz den Gast bemerkte, breitete sich ein Lächeln auf seinem von Staub bedeckten Gesicht aus. » Wie schön, dich zu sehen, Junge! «
Sebastian ergriff die Hand des Mannes und schüttelte sie. » Wie geht es Euch, Herr Freisler? «
» Oh, danke der Nachfrage. Ein Neubürger lässt sich ein Haus am Frauentor bauen und hat einige Steine bei mir in Auftrag gegeben. Da haben mein Geselle und ich die nächsten Wochen reichlich zu tun. « Prüfend sah er Sebastian an. » Und du? Ich nehme an, dass du dir inzwischen eine Beschäftigung gesucht hast? «
Sebastian lehnte sich an eine der getünchten Wände. » Ehrlich gesagt bin ich ein wenig unschlüssig, welchen Beruf ich ergreifen soll, Herr Freisler « , gab er zu. » Die Arbeit bei dem Beinschnitzer, von dem ich Euch erzählte, hat mir eigentlich gefallen. Nur leider sind wir nicht gut miteinander ausgekommen. «
» Von irgendetwas musst du leben, Junge. Oder willst du deiner Schwester auf der Tasche liegen? «
» Natürlich nicht, Herr Freisler. «
» Du wirst schon Arbeit finden. Willst schließlich eines Tages imstande sein wollen, eine Familie zu ernähren. « Das gab Sebastian Gelegenheit, dem Steinmetz eine Frage zu stellen, die ihm schon seit Tagen unter den Nägeln brannte.
» Gibt es eigentlich jemanden, der ein Auge auf Eure Tochter geworfen hat? « , fragte er in harmlosem Tonfall.
Freisler griff nach einer auf dem Boden liegenden Schablone. » Wieso? «
Sebastian stieß sich von der Wand ab und legte eine Hand auf den Steinquader, den der Steinmetz gerade bearbeitete. Während er über die raue Oberfläche strich, überlegte er, welche Antwort er Barbaras Vater geben sollte, da hoben sich dessen Lippen zu einem Grinsen.
» Ich denke, wir wissen beide, wer ein Auge auf Barbara geworfen hat, oder? «
Sebastian stieg die Hitze ins Gesicht. » Ihr habt es also bemerkt? «
» Ich nicht, aber meiner Frau sind die Blicke nicht verborgen geblieben, mit denen du unsere Tochter anhimmelst. Wir Männer sind in solchen Dingen wohl eher etwas begriffsstutzig. «
Verflixt, waren seine Gefühle so offensichtlich zu Tage getreten? » Ihr habt hoffentlich nichts dagegen, Herr Freisler? «
» Meine Katharina und ich haben nichts gegen dich, Junge « , wehrte der Ältere ab. » Nur vergiss bitte nicht, worüber wir gerade gesprochen haben. Leider lässt sich ein gesichertes Einkommen noch nicht bei dir erkennen. Solange sich daran nichts ändert, wirst du unseren Segen nicht bekommen. «
In Sebastians Kehle steckte plötzlich ein Kloß, und er schielte auf seine Stiefelspitzen. » Macht Euch deswegen keine Sorgen, Herr Freisler. « Immerhin konnte er froh darüber sein, dass Barbaras Eltern ihn trotz seiner unrühmlichen Vergangenheit nicht ablehnten. Dann fasste er in den Beutel an seinem Wams, nahm den Hornkamm heraus, den er für Barbara gefertigt hatte, und reichte
Weitere Kostenlose Bücher