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Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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Sebastian.
    Dennoch entging Anna der betrübte Ausdruck auf seinem Gesicht nicht, als er ihr einen letzten Blick zuwarf und sich die Zellentür hinter ihm schloss.
    Stunde um Stunde verstrich, und Anna sank der Mut. Musste sie etwa noch eine weitere Nacht in diesem dreckigen Loch verbringen? Endlich hörte sie Schritte.
    Der Lochwärter stand vor ihr. » Ihr seid frei, Frau Dietl. « Er beugte sich herab und öffnete das Schloss der Kette.
    Anna sprang auf. Sie drängte an ihm vorbei, hinaus auf den halbdunklen Gang, passierte einige der anderen Zellen und stieß die letzte angelehnte Zwischentür auf. Vor dem Tor blieb sie stehen.
    » Eine Frage noch, Herr Lochwirt. Was wird nun aus Walburga? «
    » Wenn das Gericht sie verurteilt, landet sie auf dem Galgenhof . Wäre allerdings in unserer Stadt das erste Weib, das wegen Hexerei brennt. Ich glaube eher, jemand versucht ihr etwas anzuhängen, weil ihr Liebeszauber nicht gewirkt hat. «
    Sie dankte ihm und verließ das Gefängnis.
    Draußen blieb sie kurz stehen und sog die frische Luft tief in ihre Lungen, ehe sie sich auf den Rückweg machte. Sie konnte es kaum erwarten, wieder daheim zu sein, denn diesmal war das Haus nicht kalt und leer. Wärme durchflutete Anna, als sie an Sebastian und Lenchen dachte, die sie sicher schon erwarteten. Den Rest des Tages wollte sie gemeinsam mit dem Bruder und der Kleinen ihre wiedererlangte Freiheit genießen.
    Am nächsten Morgen suchte sie die Dürers auf.
    Gertrudt, die zweite Magd, führte Anna ins erste Stockwerk. Der scheele Blick, mit dem die Frau sie bedachte, entging ihr nicht.
    » Wartet hier, ich gebe der Hausherrin Bescheid « , erklärte die Magd und schloss die Esszimmertür hinter sich.
    Anna setzte sich mit Lenchen auf einen der gepolsterten Stühle. In einer Zimmerecke stand eine bauchige Vase mit Eibenzweigen, und von dem mit einem bis zum Boden fallenden Tuch bedeckten Tisch wehte der verführerische Duft von Lebkuchen zu ihr herüber. An einer Wand, gegenüber dem wohlige Wärme spendenden Kachelofen, hing ein neues Gemälde, das Porträt eines hageren Mannes mit ernster Miene und einer gewaltigen Hakennase.
    » Michael Wolgemut, Albrechts Lehrer. Er verehrt ihn bis zum heutigen Tag. «
    Anna erhob sich rasch und glättete ihr Gewand.
    Die Frau des Malers reichte ihr die Hand. Sie trug ein geschnürtes wollenes Kleid, das sich um ihre fülligen Hüften bauschte. » Meine Liebe, ich hoffe, es geht Euch gut? « In ihrer Stimme schwang Besorgnis mit.
    » Soweit es einem Menschen gut gehen kann, der zwei Tage unschuldig im Loch verbringen musste « , erwiderte Anna nicht ohne Bitterkeit.
    » Natürlich. Seid nochmals versichert, dass wir Euch glauben « , gab Agnes Dürer zurück. » Für die Unannehmlichkeiten, die wir Euch bereitet haben, können wir uns nur entschuldigen und um Verzeihung bitten. Diese unselige Angelegenheit wird sich aufklären. Dafür werde ich persönlich sorgen. «
    Unannehmlichkeiten?, dachte Anna. Das schien ihr wirklich gelinde ausgedrückt. » Das hoffe ich, Frau Dürer. Ich danke Euch. «
    » Bitte nehmt doch wieder Platz « , bat die Hausherrin. Sie betrachtete das Kind. » Wollt Ihr die Kleine nicht absetzen? Ich habe eine schöne, weiche Wolldecke, auf der sie spielen könnte. «
    » Das wäre wunderbar, sie wird nämlich immer schwerer. «
    Agnes Dürer schritt zu einem der Polsterstühle hinüber, über dem eine wollene Decke drapiert war. Sie breitete sie auf dem Holzfußboden aus und nahm Anna das Kind ab, um es darauf auf den Bauch zu legen.
    Staunend beobachteten die beiden Frauen, wie die Kleine sich auf die Arme stützte und ein Bein vorschob. Dabei verlor Lenchen das Gleichgewicht und fiel zur Seite.
    » Ich hätte auch gern ein Kindchen mein Eigen genannt « , murmelte Frau Dürer.
    » Ja, Ihr könnt gut mit der Kleinen umgehen. « Anna wollte nicht weiter in sie dringen, bemerkte jedoch den Schatten, der über das Gesicht ihres Gegenübers huschte.
    » Es sollte wohl nicht sein. Der Herrgott hat etwas anderes für mich vorgesehen, obgleich ich eine Weile gebraucht habe, um dieses Los anzunehmen. Heute bin ich dafür herzlich dankbar. «
    Anna forschte in Agnes Dürers Miene, die nun einen Ausdruck der Gelassenheit angenommen hatte. » Ich verstehe nicht. «
    » Seht, wie hätte ich meinen Gatten aus vollstem Herzen unterstützen können, damit die Welt seine begnadete Gabe erkennt und sich davor verneigt, wenn ich Kinder um mich gehabt hätte, die meine Aufmerksamkeit

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