Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
Gewürze nicht helfen, den Geschmack von Fäulnis zu überdecken. Der Gedanke daran schüttelte sie.
Einige Stände weiter konnte sie ein gutes Stück Rindfleisch ergattern, und sie bat den Fleischhauer, es ihr beiseitezulegen. Er willigte ein. Sie verwickelte ihn in ein kurzes Gespräch, aber der Händler konnte keine weitere Arbeitskraft bezahlen. Bei einem zweiten Fleischer erhielt sie eine ähnliche Antwort. Das Geschäft werfe nicht genug ab, erklärte er ihr. Niedergeschlagen lenkte sie ihre Schritte in Richtung Findelgasse. Anna erschrak, als sich ein Schwall Wasser unvermittelt über ihren Umhang ergoss.
» Könnt Ihr nicht aufpassen, verflixt? « Ein kräftiger Mann, der hinter ihr gelaufen sein musste, trug einen ledernen Eimer, der nur noch zur Hälfte gefüllt war.
» Bitte entschuldigt. Ich habe Euch nicht bemerkt. «
» Mir tut’s auch leid. Aber haltet mich nicht auf, es hat gebrannt! « Ohne ein weiteres Wort schlängelte sich der Mann an ihr vorbei.
Anna sah ihm verdutzt hinterher und setzte ihren Weg fort. Kurz vor der Einbiegung in die Findelgasse drang ein scharfer Geruch an ihre Nase. Verbranntes Holz. Rauch. Keine zwanzig Klafter von ihr entfernt luden eine Handvoll Männer große, offensichtlich schwere Kufen aus einem Karren. Andere übernahmen die Behälter, um auf eines der Häuser zuzulaufen. Anna hielt sich die Nase zu, der beißende Gestank wurde unerträglich und ließ ihre Augen tränen. Onkel Gerald! Sie beschleunigte ihre Schritte. Doch es handelte sich bei der Unglücksstelle nicht um das Heim und Geschäft ihres Oheims. Gerald Pfanners Haus befand sich drei Grundstücke weiter in der spitzgiebeligen Häuserzeile.
Aufatmend blieb sie stehen und schaute hoch. Das Erkerlein, das die Wand im ersten Stock zierte, war nicht beschädigt, dafür bestand der Dachstuhl nur noch aus einem verkohlten, trotzig in den Himmel ragenden Gerippe. Der Mann, der an ihr vorbeigelaufen war, kletterte soeben eine gegen die Hauswand gelehnte Leiter hinauf. Mit einer Hand hielt er sich fest, während er die Sprossen erklomm. In der anderen hielt er den Eimer, den er gegen einen geborstenen Fensterrahmen im oberen Stockwerk entleerte. Anna sprang zur Seite, als das Wasser neben ihr aufs Pflaster klatschte. Ein weiterer Helfer trat neben sie, ließ einen prall gefüllten Wasserschlauch in einen auf der Gasse stehenden Eimer gleiten und öffnete ihn.
» Geht besser weiter « , mahnte er. » Das Feuer ist zwar gelöscht, aber man weiß ja nie. «
Anna wollte ihren Weg fortsetzen, da fasste eine Hand nach ihrem Arm. Sie fuhr herum und sah direkt in Gerald Pfanners Gesicht. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, die Stimme klang brüchig wie die eines Greises.
» Anna, was tust du hier? «
» Gott zum Gruße, Onkel Gerald. Ich bin hergekommen, um dich zu besuchen. «
Der Gewandschneider schob sich die Haare aus der Stirn. Er schien sichtlich nach Worten zu ringen und schloss in einer Geste der Verzweiflung kurz die Lider, bevor er weitersprach. Etwas unbeholfen strich er ihr über die Schulter. » Anna, etwas Schreckliches ist geschehen. «
» Ja, das sehe ich. Ich bin froh, dass das Feuer nicht auf dein Haus übergegriffen hat. «
Sein Blick drang in ihren. Dieser Ausdruck – ein Schauer lief ihr über den Rücken.
» Du weißt nicht, wem dieses Gebäude gehört, nicht wahr? «
Sie verneinte.
Pfanner griff nach ihrer Hand. Tränen traten ihm in die Augen, liefen ihm ungehindert über die Wangen. » Anna, es handelt sich um Erhardt Grubers Wohn- und Geschäftshaus. « Er wandte sich von ihr ab und schnäuzte sich.
» Erhardt Gruber? Onkel, nun rede endlich, um Himmels willen! Was ist passiert? «
Hilflos musste Anna mit ansehen, wie die sonst so beherrschten Züge des Onkels in stummem Schmerz zuckten.
» Gruber ist Martins Schwiegervater, Mädchen. «
» Ist ihm etwas geschehen? «
» Nein, er befindet sich auf einer Reise. Aber Therese und Martin … « Er brach ab und fuhr sich mit der flachen Hand über die Augen.
Anna trat auf den Onkel zu und schüttelte ihn leicht. » Was ist mit Martin? «
Gerald Pfanners Blick wanderte in die Ferne. » Die beiden waren im Haus, als das Feuer ausbrach. Therese lebt, aber Martin hat es nicht geschafft. « Er schluchzte auf. » Sie bergen gerade seinen Leichnam. «
Anna spürte, wie ihre Beine unter ihr nachzugeben drohten. » Martin ist tot? « , flüsterte sie.
» Sie waren bereits in Sicherheit, da ist Martin ins Haus zurückgelaufen, um den
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