Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
einem Haken hing, oder auch die Pfeife auf dem Tisch in der Stube. Dann konnte sie sich vorstellen, wie es wäre, käme er zur Tür herein, mit diesem feinen, ihm eigenen Lächeln im Gesicht.
Natürlich war all das Unsinn, deshalb wollte sie sich nun, da sie mit Lenchen allein im Haus war, ans Werk machen. Zielstrebig steuerte sie die Werkstatt an. Als sie dort der typische Geruch von Farben und Lösungsmitteln jäh einhüllte, biss sie sich auf die Unterlippe. Sie setzte Lenchen auf den Boden. Rasch brachte sie die Dinge, mit denen die Kleine, die sich mittlerweile an allem hochzog, Unfug anstellen konnte, in Sicherheit. Bereits einige Tage zuvor hatte sie Körbe und Kisten in die Werkstatt getragen. Anna trat an ein Regal und begann, alle dort befindlichen Utensilien in einen der Körbe zu legen. Ein Klopfen riss sie aus ihren Gedanken.
» Grüß Gott, Anna. « Gerald Pfanner machte einen Schritt auf sie zu. » Darf ich hereinkommen? «
Sie blieb wie angewurzelt stehen. Als sie nicht reagierte, trat er näher, folgte ihr in die Werkstatt und nahm ihr die Gläser mit Tinte aus der Hand, um sie behutsam in dem Korb zu verstauen.
» Du hast geweint. « Zart strich er ihr über die Wange.
Anna wich zurück. » Gott zum Gruß. Ich muss hier Ordnung schaffen, Onkel Gerald « , antwortete sie lahm.
» Du musst das nicht allein tun. Ich helfe dir. «
Verblüfft betrachtete sie seine untersetzte, gebrechlich wirkende Gestalt. Seine sonst so rosige Gesichtsfarbe war gewichen, und er sah aus, als hätte er nächtelang nicht geschlafen.
» Das ist nett von dir. Aber das muss ich selbst erledigen. « Als über sein Gesicht ein Schatten huschte, strich sie ihm über den Arm. » Wenn du etwas für mich tun möchtest, Onkel Gerald, kannst du die Kisten auf dem Tisch stapeln. Sollte dir dies nicht genügen, würde ich mich später über ein gutes Mittagessen freuen. «
Seine Miene hellte sich auf. » Das sollte sich einrichten lassen. « Er machte einen zaghaften Schritt auf Anna zu, aber sie hielt ihn zurück.
» Wie kommst du im Geschäft zurecht? Hast du inzwischen nach einer Hilfskraft Ausschau gehalten? Du wirst die Arbeit kaum allein bewältigen können. «
Er schüttelte bekümmert den Kopf. » Noch nicht. Mir hat bisher die Kraft dazu gefehlt, Mädel. Die Knochen, du weißt schon. «
» Das tut mir leid. «
Auf einmal war nur noch das leise Säuseln des Windes aus dem kleinen, geöffneten Fenster der Werkstatt zu hören.
» Martin fehlt mir, Anna. Leider habe ich es versäumt, ihm zu zeigen, wie viel er mir … « Der Gewandschneider brach ab.
» Er hat gewusst, dass du ihn liebst, Onkel Gerald. Wie geht es seiner Frau? «
Er nahm ihr Werkzeug ab und legte es in einen Korb. » Therese lebt seit Martins Tod bei ihrer Schwester am Stadtrand und ist für niemanden zu sprechen. Dabei könnte ich sie im Geschäft gut gebrauchen. Ein Glück, dass Erhardt Grubers Haus nicht völlig zerstört wurde. Bis zum Winter will er es wieder aufbauen. « Er hob die Schultern und ließ sie wieder sinken.
» Entschuldige, Onkel Gerald, ich wollte nicht in dich dringen. «
Sie wendete sich dem Regal zu und griff nach einem verschnürten Päckchen, um es ebenfalls in den Korb zu legen.
» Sag Bescheid, wenn du fertig bist, dann fahre ich in die nächste Garküche und besorge etwas zu essen « , murmelte Onkel Gerald und wischte sich die Hände an einem Tuch ab. » Lass dir nur Zeit beim Abschiednehmen. «
Sie nickte, und er ging mit schleppenden Schritten hinaus. Anna sah ihm nach, seufzte und fuhr mit der Arbeit fort. Ein Stück nach dem anderen wanderte in die Körbe und Kisten. Manchmal hielt sie inne und ließ die Erinnerungen, die sie bei der Betrachtung von Korbinians Werkzeug ergriffen, an sich vorüberziehen. Als sie schließlich das letzte Utensil verstaute, stellte sie mit Erstaunen fest, dass die Sonne längst ihren höchsten Stand erreicht hatte. Erschöpft ließ sie den Blick über die verlassen wirkende Arbeitsstätte ihres Mannes schweifen. Die Behältnisse standen in Reih und Glied auf dem langen Holztisch. Anna klopfte sich den Staub von ihrem Gewand und verließ die Werkstatt.
» Bruder Jakobus und Bruder Johannes « , sprach Pankratius Ferdinand und Dietrich mit ihren neuen Namen an, » ich denke, es ist besser, wenn ihr beiden für eine Weile aus der Stadt verschwindet. «
Seine Stimme war kalt, und das Gesagte glich eher einem Befehl als einem wohlmeinenden Ratschlag. Augustin Hofer, in dessen Haus
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