Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
alles zu berichten. Martins Gesicht war erstarrt, und er hatte Sebastian versichert, bei der nächsten Gelegenheit mit seinem Vater zu sprechen, damit der seine Meinung änderte. Seitdem waren sich die beiden jungen Männer nicht mehr begegnet, denn Sebastian bewohnte nun eine eigene Kammer bei Meister Stöckl. Vielleicht sollte er froh sein, Anna im Kloster zu wissen. Der Herrgott und die Heilige Jungfrau hielten ihre Hände über die Nonnen, hieß es. Rasch schlug er ein Kreuz über der Brust und beugte sich tiefer über seine Arbeit. Der Beinschnitzer war ein guter Mann, nur leider hatte Stöckl die Angewohnheit, ihm die Schuld zu geben, wenn eins der Werkzeuge nicht aufzufinden war, was in den letzten Wochen mehrfach geschehen war. Kurze Zeit später stellte sich immer heraus, dass der Meister die Gegenstände selbst verlegt hatte.
Sebastians Augen brannten vom spärlichen Licht in der Werkstatt, und der Rücken tat ihm weh. Durch die Ritzen der Holzbalken drang kalte Luft herein, weshalb er froh war, als der Meister ihm auf die Schultern klopf te.
» Lass gut sein für heute und leg dich hin. «
Sebastian nickte. Seine Kammer war gerade groß genug für ein Bett, ein Schränkchen und eine Wäschetruhe. Sogar ein kleines Fenster war darin, er konnte sich wahrlich nicht beklagen.
Der Beinschnitzer grinste. » Will noch auf ein Würzbier bei der guten Krimhild vorbei, drüben im Schwarzen Hahn. «
Der Junge erwiderte das Lächeln. Er wusste von der heimlichen Schwäche seines Meisters für die dralle Schankwirtin. Die freundliche, rotwangige Frau war seit einiger Zeit verwitwet. Ihre Schänke, die sie am anderen Ende der Gasse betrieb, war stets gut besucht. Öfter hatte er Stöckl beobachtet, wenn er sich in seinem besten Wams, einer sauberen Hose und geputzten Stiefeln auf den Weg zu ihr machte. Warum auch nicht? In Zeiten der Not mundete das Bier angeblich besonders gut und vertrieb die Sorgen für ein Weilchen. Nachdem der Meister das Haus verlassen hatte, blieb Sebastian noch eine Weile in der Werkstatt sitzen. Er vergrub das Gesicht in den Händen. Wüsste doch auch er, mit welchen Mitteln er dieses Gefühl der Leere auflösen konnte, das seit der Trennung von seiner Schwester zu seinem ständigen Begleiter geworden war.
Die Tage verstrichen, und der Frühling hielt Einzug. Meister Stöckl erwies sich zuweilen als unberechenbar, denn seine Laune konnte so rasch wechseln, wie die Wolken am Himmel vorüberzogen. Nur selten entlockte Sebastian ihm ein anerkennendes Nicken, wenn ihm ein Werkstück gelungen und der Beinschnitzer guter Dinge war. Neuerdings ging Stöckl jeden dritten Tag zu einem Bader, um sich rasieren zu lassen, und die schütteren Haare lagen stets ordentlich gekämmt am Kopf. Wie sollte Sebastian nur aus ihm schlau werden? Eines Abends lud der Meister ihn überraschend ins Wirtshaus ein.
Als sie nur wenig später Krimhilds Schänke betraten, schlug Sebastian der Geruch von Bier, Wein und gebratenem Fleisch entgegen. Vier Männer saßen am Ende des Raumes ins Würfelspiel versunken.
Die Wirtin trat auf den Meister zu. » Was darf ich euch bringen? «
» Zwei Humpen Bier und etwas Anständiges zu essen, meine Liebe « , entgegnete der Meister mit ungewohnt weicher Stimme, ohne Krimhild aus den Augen zu lassen.
Kam es Sebastian nur so vor, oder ließ die Wirtin die Hüften ein wenig mehr schwingen als notwendig? Er senkte den Kopf, um das Grinsen zu verbergen. Sein Meister schien verliebt zu sein. Während sie genüsslich das saftige Fleisch und das Brot verspeisten, plauderte Stöckl mit ihm wie mit einem guten Freund. Als sie beim zweiten Bier angelangt waren, beschloss Sebastian, nur noch an seinem Krug zu nippen. Sein Gegenüber stimmte ein launiges Lied an, die vier anderen Gäste fielen ein. Auch Krimhild gesellte sich zu ihnen. Sie war keine sonderlich hübsche Person, aber sie hatte für jeden ein freundliches Wort und ein fröhliches Lachen übrig. Ihm entgingen nicht die Blicke, die Stöckl ihr zuwarf. In einem günstigen Moment bedankte Sebastian sich bei seinem Meister für die Einladung und verabschiedete sich.
Bald schon änderte sich Meister Stöckls Stimmung. Ob Kriemhild ihm einen Korb erteilt hatte? Jedenfalls kam er immer häufiger mit rot geränderten Augen und von einem üblen Geruch begleitet erst weit nach Sonnenaufgang in die Werkstatt. Sebastian erschrak und zog die Schultern ein, als sich der Meister eines Morgens mit unheilvoller Miene vor ihm aufbaute.
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