Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
der Leibhaftige in den letzten Wochen an ihn heran, versuchte ihn von seinem Weg abzubringen. » Geh hinter mich, Satan « , hatte der Herr einst zu Petrus gesagt, » denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist! « Ja, der Teufel konnte sich gut verstellen, kam sogar als Engel des Lichts daher – so stand es bereits im Wort Gottes.
Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen, als er den Raum verließ, um sich abzutrocknen und anzukleiden. Die alte Frau an der Kasse sah auf, als er an ihr vorüberging, und blickte ihm kurz nach. Er trat ins Sonnenlicht, hinaus auf die Gasse, die sich inzwischen merklich belebte. Einen Moment später war er in der allgemeinen Betriebsamkeit untergetaucht.
KAPITEL 6
A nnas Tage wurden von einem andauernden Gefühl der Dumpfheit begleitet, über allem schien ein Schleier zu liegen. Die gleichbleibende, strenge Miene der Mutter Oberin, das zurückhaltende Wesen von Schwester Griseldis und die Art, wie die anderen Klosterschülerinnen ihr aus dem Wege gingen, brannten sich ein. Mehr als einmal hatte sie zusätzlich den Rosenkranz beten müssen, weil sie zu spät zum Essen erschienen war, die notwendige Aufmerksamkeit bei der Arbeit vermissen ließ oder Widerworte gegen die Strafen erhob, die man ihr auferlegte. Dabei wollte sie gar nicht aufmüpfig sein, nur konnte sie den Zweck der zu befolgenden Bußübungen nicht immer verstehen. Sobald sie einen Moment für sich war, gingen ihre Gedanken auf Wanderschaft. Martins Antlitz stand ihr wieder vor Augen, sein trauriges Lächeln, als sie sich zuletzt getroffen hatten. Wie oft hatten sie, die Hände ineinander verschlungen, von ihrem gemeinsamen Leben geträumt und dabei gespürt, dass ihre Herzen im selben Takt schlugen?
Auch an diesem Morgen bekam Anna kaum einen Bissen hinunter, und die Stille, die während des Essens einzuhalten war, tat ihr Übriges.
» Die Finger auf den Tisch, Anna! Und iss! «
Bei den Worten der Mutter Oberin fuhr sie zusammen. Widerwillig führte sie den Löffel zum Mund – und ihr Mageninhalt ergoss sich auf den Tisch. Ein Ausruf des Entsetzens folgte.
» Auf deine Kammer, aber rasch! « Die Stimme der Mutter Oberin überschlug sich.
Das Mädchen erhob sich schwankend, die Hände auf den Bauch gepresst. Die Wangen heiß von der Schelte, als hätte ihr jemand eine Maulschelle verpasst, stolperte sie hinaus, lief in ihre Kammer und ließ sich aufs Bett sinken. Wie oft in den letzten Wochen hatte sie die Rügen und strafenden Blicke der Nonnen versucht zu ertragen? Wie oft hatte sie gespürt, dass sie nicht hierhergehörte? Ein Schluchzen stieg in ihr hoch. War sie nicht ohnehin jedem in diesem Kloster ein Dorn im Auge? Warum kam Martin nicht, um sie zu holen? Bestimmt ließ die Mutter Oberin ihn nicht zu ihr, damit er sie nicht von der blöden Kontemplation ablenkte. Aber hätte er ihr nicht wenigstens eine Nachricht zukommen lassen können? Oder verbot die Mutter Oberin auch dies?
Mit einem erstickten Laut drückte sie das Gesicht in ihr Kissen, unfähig, sich gegen den Ansturm ihrer Gefühle zu wehren. Sie biss in den Stoff, um die Schreie zu verhindern, die sich in ihrer Kehle formten. Als die Tränenflut endlich versiegte, nahm ein Gedanke Gestalt in ihr an: Sie musste von hier fort. Mit dem Ärmel ihres Gewandes trocknete sie ihr Gesicht, griff nach einem Tüchlein auf dem Nachttisch und schnäuzte sich. Anna schaute aus dem winzigen Fenster. Nur wie? In diesem Fall war es von Vorteil, den Tagesablauf des Klosters genau zu kennen. Wenn sie ein Schlupfloch finden wollte, musste sie jeden Schritt sorgfältig planen.
Annas innere Erregung wuchs von Tag zu Tag und mit ihr auch die Zweifel. Zwischen den einzelnen Pflichten blieb kaum Zeit, um in der Betriebsamkeit des Klosters einen wiederkehrenden Rhythmus auszumachen. Die Nonnen versorgten sich weitgehend selbst, brauten in einem angrenzenden Gebäude sogar ihr eigenes Bier. Eines Morgens beobachtete Anna auf dem Weg in die Kapelle, wie ein Weinhändler um Einlass bat und der Stallbursche ihn redselig begrüßte. Wie oft der Mann die Nonnen wohl belieferte? Der Händler musste ein Bekannter der Mutter Oberin sein, denn er verließ erst am folgenden Morgen kurz nach Sonnenaufgang das Kloster.
Zu ihrer Enttäuschung wurde Anna kurz darauf für den Dienst in der Küche eingeteilt, in der Schwester Almuth darauf achtete, ihren Schützling gut zu beschäftigen. Außer ihr und Anna arbeitete nur noch Schwester Clementia dort, die trotz ihrer
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