Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
sein Wams über, schlüpfte in die Schuhe und fuhr sich mit den Fingern durch das zerwühlte Haar.
Als er die Haustür hinter sich zuzog, sah er sich nach allen Seiten um. Stille lag über der in Nebel getauchten Gasse, nur drüben in der Schänke brannte noch Licht, und die Stimmen einiger Zecher drangen undeutlich zu ihm herüber. Vor einem der Fenster hob sich die kräftige Gestalt des Freundes gegen das letzte Licht des Tages ab. Die Kapuze über den Kopf gezogen, lief Sebastian die Gasse hinunter und blieb vor Sepp stehen.
» Was soll das? « , stieß er hervor.
Biergeruch umwehte den Freund. Sebastian rümpfte die Nase und warf ihm einen verstohlenen Seitenblick zu.
Sepp griff nach seinem Arm. » Komm mit, ich brauch deine Hilfe. «
Der Sohn des Sattlers zog ihn mit sich um die Schänke herum. Sebastian folgte ihm nahezu blind um die Ecke, denn der Nebel nahm ihm jede Sicht. Im nächsten Moment vernahm er ein heiseres Stöhnen. Mit einem Schlag war er hellwach. Mit zusammengekniffenen Augen trat er auf eine still daliegende Gestalt mit hellen Haaren zu.
» Wer ist das, Sepp? Was … was geht hier vor? « Er packte seinen Freund am Handgelenk.
Der machte sich von ihm los. » Hab zwei Humpen Bier mit ihm getrunken. Kenn ihn ja schon lange. Aber dann haben wir uns hier draußen gestritten und ein bisschen geprügelt. Als er frech wurde, hab ich ihm einen Kinnhaken verpasst. Jetzt will er nicht mehr zu sich kommen … Schau mich nicht so an. Kann doch passieren. «
Sebastian beugte sich zu dem jungen, dicklichen Burschen hinunter, aus dessen aufgeplatzter Lippe Blut lief. Die Nase färbte sich bereits dunkel und schien anzuschwellen.
Er kniete vor dem Verletzten nieder und sprach ihn an, dieser zeigte jedoch keine Reaktion. Ohne lange nachzudenken versetzte Sebastian ihm eine Ohrfeige und sah zu, wie sich die Wange des offenbar angetrunkenen Fremden allmählich verfärbte. Endlich hob dieser die Lider. Seine Augen waren glasig, er schien ihn kaum wahrzunehmen.
» Wie geht es dir? « , fragte Sebastian, erhielt als Antwort jedoch nur ein Rülpsen. » Der ist ja völlig weggetreten! Allmächtiger – wie viel habt ihr denn getrunken, du Depp? Das müssen weit mehr als nur zwei Becher Würzbier gewesen sein. «
» Vielleicht waren es auch drei oder vier, weiß nicht mehr. Der verträgt wohl nichts. Jetzt frag nicht so viel. Hilf mir lieber, ihn hier wegzuschaffen, bevor ein Nachtwächter vorbeikommt und uns erwischt. Allein schaffe ich es nicht, er ist zu schwer. «
Da hörte Sebastian kleine, sich rasch nähernde Schritte. Ein Mädchen kam mit einem Korb unter dem Arm um die Ecke. Ihre runden Augen weiteten sich, als sie den Verletzten und die beiden jungen Männer erkannte. Sie stieß einen spitzen Schrei aus und wollte sich auf dem Absatz umdrehen. Aber Sepp stellte sich ihr in den Weg und verbarg somit den Blick auf den noch immer benommen wirkenden Burschen.
» Gott zum Gruße, schönes Mädchen. Wo willst du um diese Zeit noch hin? Es wird bald dunkel sein. «
Sebastian konnte sich von dem Anblick der Fremden kaum losreißen. Sie war in der Tat ungewöhnlich hübsch mit ihren blonden Haaren und den anmutigen Bewegungen. Hilfesuchend schaute sie sich um, doch die Gasse lag menschenleer vor ihr.
» Das geht dich gar nichts an « , entgegnete sie und wich vor ihm zurück. » Und jetzt gehe mir aus dem Weg! «
Sepp tat, als hätte er sie nicht gehört, und trat langsam auf sie zu. » Aber nur, wenn du mir einen Kuss schenkst. «
Da konnte Sebastian nicht länger an sich halten und schubste Sepp beiseite, der ins Straucheln geriet.
» Was soll das? Lass sie gefälligst in Ruhe. Kümmere dich lieber um den da! « Er wies auf den Burschen, der sich inzwischen aufgesetzt hatte und – der irritierten Miene nach – nicht verstand, was sich vor seinen Augen abspielte.
Sebastian scherte sich nicht um den Freund, der ihm giftige Blicke zuwarf, sollte Sepp doch sehen, wie er mit dem Betrunkenen fertig wurde. Nur einen kurzen Moment war er abgelenkt gewesen, nun sah er, wie das Mädchen, noch immer bleich um die Nase, hastig davonlief.
» Bleib stehen! Keine Bange. Ich tu dir nichts « , rief er ihr nach. Die Unbekannte dachte jedoch nicht daran und rannte die Gasse entlang. Gleich darauf geriet sie aus Sebastians Sichtfeld, und er eilte ihr hinterher. » Warte! Wo wohnst du denn? «
Tatsächlich hielt sie inne und betrachtete ihn nachdenklich. » Am Wollnertor. «
» Darf ich dich nach Hause begleiten?
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