Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
sich ins wunderbar weiche Stroh. Am besten, sie legte sich unter den Karren, dort würde man sie zumindest nicht sofort entdecken. Kurz darauf kroch sie darunter, und die Augen fielen ihr vor Erschöpfung auf der Stelle zu.
Anna erwachte mit dem ersten Hahnenschrei – und einem wild pochenden Herzen. Hatte sie jemand bemerkt? Ruckartig erhob sie sich und stieß sich den Kopf am Karren. Vorsichtig lugte sie hinaus. Sie befand sich in einem Verschlag, sodass sie freien Blick auf den Hof der Herberge hatte. Eilig warf sie sich ihr Bündel über den Rücken und wartete, bis ein junges Weib mit einer Milchkanne in der Hand aus ihrem Sichtfeld verschwand. Dann rannte sie los. Anna lief, bis das Stechen in ihren Seiten sie zwang, einen Moment zu verschnaufen. Zumindest befand sie sich bereits in der Nähe der großen Handelsstraße, auf der sie damals auf dem Weg ins Kloster gefahren waren. Die Straße war von Büschen und jungen Bäumen gesäumt, die ihr zwar keinen Sichtschutz, wohl aber einen Unterschlupf boten. Sollte sich ein Fuhrwerk nähern, konnte sie sich dahinter verbergen. Bis die Betriebsamkeit auf der Handelsroute einsetzte, blieb noch etwas Zeit.
Anna erinnerte sich flüchtig daran, auf der Hinreise damals zwei Nächte auf dem Wagen von Onkel Geralds Freund verbracht zu haben. Ob sie am Abend Nürnberg erreichen würde? Sie raffte ihren Rock und hielt sich dicht hinter den schützenden Büschen. Als die ersten Fuhrwerke lärmend die Straße passierten, hatte sie bereits ein gutes Stück des Weges hinter sich gebracht. An tiefer gelegenen Stellen war sie knöcheltief im Schlamm versunken, und in ihrem Gewand und dem langen Umhang hatten sich kleine Zweige und Laub verfangen. Besser, sie hielt sich abseits der Straße, nur gab es in dieser nahezu baumlosen Ebene nichts als weite Stoppelfelder. Immer wieder betrachtete sie die Wagen, die an ihr vorüberrollten, der Weinhändler und seine Begleitung waren jedoch nicht unter ihnen.
Gegen Mittag veränderte sich die Landschaft, und sie erreichte ein Wäldchen. Dort legte sie eine kurze Rast ein und trank etwas Wasser. Anna fühlte sich schmutzig und fror, die Füße taten ihr vom Laufe weh. Von der Straße drangen die Geräusche von Mensch und Tier zu ihr herüber. Bald darauf entdeckte sie den kleinen Bach, an den sie sich erinnerte, und füllte ihren Wassersack auf. Ein feines Lächeln stahl sich in ihre Mundwinkel. Noch einen Tag, dann war sie daheim.
Kaum setzte Anna ihren Weg fort, da hörte sie, wie sich Hufgetrappel näherte. Fieberhaft blickte sie sich um, kalter Schweiß brach ihr aus den Poren. Wenige Schritte entfernt entdeckte sie einen Stapel Holz, den Förster dort sauber errichtet hatten, und lief darauf zu. Keinen Moment zu früh. Zwei Reiter kamen durch den kleinen Wald. Anna legte sich flach auf den Boden und lauschte mit angehaltenem Atem. Ihr Herz klopfte bis zum Zerspringen.
» Hier ist niemand « , hörte sie einen Mann sagen.
» Vielleicht ist sie in die andere Richtung gelaufen? Sie kann nicht weit sein « , antwortete ein zweiter.
Dann entfernten sie sich im Trab, und Anna blieb wie gelähmt liegen. Erst nachdem alle Geräusche verhallt waren, stand sie mit unsicheren Schritten auf. Ein Blick in den Himmel zeigte, dass ihr nicht mehr als zwei Stunden bis zum Sonnenuntergang blieben. Deshalb hastete sie weiter. Bald geriet ein alter, verlassen wirkender Bauernhof in ihr Sichtfeld, der sich nahe an eine Straßengabelung schmiegte. Anna schlich von der rückwärtigen Seite heran, um das Gehöft in Augenschein zu nehmen. Es musste seit vielen Jahren verlassen sein, aber für ihre Zwecke würde es genügen, zumal sich über ihr dicke Regenwolken zusammenbrauten. Sie schlüpfte ins Innere und stand in einem Raum, in dem die Werkzeuge des einstigen Besitzers aufbewahrt wurden. Erschöpft legte sie sich auf den staubigen Boden und deckte sich mit dem Umhang zu.
Am nächsten Morgen erwachte sie voll freudiger Erwartung. Als sie an sich hinunterblickte, schüttelte sie entsetzt den Kopf. Sie ging zum Bach, wusch sich bibbernd im eiskalten Wasser und zog sich das Gewand an, das sie bei ihrem Eintritt in den Dominikanerinnenorden getragen hatte. Bald darauf brach sie auf, und wenige Stunden später sah sie aus der Entfernung die Silhouette von Nürnberg vor sich aufragen. Vor den Toren der Stadt entdeckte sie einen Wagen, der über und über mit Säcken beladen war, während sich die beiden Fuhrleute lachend zu einer Gruppe weiterer Händler
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