Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
Brutalität und Rücksichtslosigkeit zurückdachte, mit der Pankratius’ Männer vorgingen. Dabei machten sie vor niemandem Halt, ob Bettler, Lutheraner – oder junge Frauen wie Barbara.
» Ich werde dich begleiten. «
Sebastian schüttelte den Kopf. » Kommt nicht infrage. Diese Sache muss ich ganz allein erledigen, du bleibst hier. «
Barbara reckte das Kinn. » Sebastian Stäubling, du bist nicht mein Vater, dem ich zu gehorchen habe. «
Er verzog das Gesicht. » Ich meine es ernst. Bitte bleib hier, das ist mein letztes Wort. In einer Stunde bin ich zurück. «
Sie senkte die Lider und schwieg. Dann griff sie nach dem ledernen Band, das sie um den Hals trug, und reichte es ihm. » Möge es dich beschützen. «
Der Anhänger bestand aus einer bronzenen Scheibe und zeigte das Bild eines vollbärtigen Mannes, den jeder Bürger Nürnbergs kannte. Der heilige Sebaldus, Schutzpatron der Stadt, um dessen Leben sich zahllose Legenden rankten. Als Sebastian sich kurz darauf erhob und zum Flur eilte, um seinen Umhang vom Haken zu nehmen, hielt Barbara ihn am Arm fest.
» Bitte sei vorsichtig! «
Die Kapuze seines Umhangs tief in die Stirn gezogen, um sich vor dem kalten Wind zu schützen, lief er los. Sebastian beschleunigte seine Schritte und musste dabei achtgeben, nicht auszugleiten. Er lugte unter der Kapuze hervor. Von einigen jungen Weibern abgesehen, die sich nahe an eine Häuserwand drängten und miteinander schwatzten, war es ruhig in der Gasse. Unwirsch verjagte er einen streunenden Hund, der ihn knurrend verfolgte. Bis zum ehrwürdigen Gebäude des Stadtrates war es nicht weit, nur wenige Gässchen entlang, an diesem Tag jedoch wollten sie schier kein Ende nehmen. Immer wieder blickte er sich um. Auf dem Platz vor der prächtigen, erst im letzten Jahr frisch bemalten Fassade angekommen, atmete Sebastian tief durch. Weich wie in der Sonne geschmolzene Butter waren seine Knie, und eine Stimme in seinem Inneren mahnte, besser den Rückweg anzutreten und es einem Mutigeren zu überlassen, die Bruderschaft und ihre dunklen Machenschaften aufzudecken. Aber da war auch eine zweite Stimme in ihm, die ihn zur Eile antrieb – allen Gefahren zum Trotz.
Hinter ihm ertönte das Gegacker von Hühnern, und ein mit Käfigen beladenes Fuhrwerk rumpelte so dicht an ihm vorüber, dass ein Schwall Schmutzwasser auf seinen Umhang spritzte. Er suchte Schutz hinter einer Reihe schlanker Birken, die den Rathausplatz säumten. Gegenüber, am Ostchor der Sebalduskirche, bewarfen zwei Jungen eine Bettlerin mit Schneebällen. Als er sicher war, von niemandem beachtet zu werden, eilte er dem Eingangsportal zu. Er passierte das Häuschen, in dem ein Büttel den Dienst des Türwächters versah, und zog einen Flügel der Tür auf. Im Vestibül hinterließen seine Stiefel kleine Pfützen auf dem Holzfußboden. Unschlüssig ließ er den Blick durch die Eingangshalle schweifen. Zwei Männer in der farbenfrohen Kleidung der Patrizier – feinen Stoffstrümpfen, ebensolchen Hosen und Wämsern mit ausgepolsterten Schultern – gingen leise miteinander redend an ihm vorüber und stiegen eine breite Holztreppe in das obere Stockwerk hinauf.
In diesem Moment öffnete sich eine der vielen Türen, und ein kleiner, hagerer Mann trat heraus. Als er Sebastian gewahr wurde, blieb er stehen und maß ihn streng durch seine Stegbrille. Ein Sekretär vermutlich.
Sebastian räusperte sich, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. » Grüß Gott. Ich … ich möchte … «
» Was wollt Ihr? « , unterbrach ihn der Mann barsch. » Ich habe zu tun. «
Sebastian war versucht, sich auf dem Absatz umzudrehen und das Gebäude zu verlassen, besann sich aber eines Besseren. » Sicher, Herr. Es ist nur so … es gibt in unserer Stadt gewisse Leute … also Männer, deren Verhalten … Anlass zur Sorge gibt « , begann er umständlich und schalt sich selbst für sein Herumgestotter.
» Gewisse Leute, soso. Könntet Ihr bitte etwas deutlicher werden? «
» Sicher. «
» Gut, dann kommt mit in meine Arbeitsstube. «
Er folgte dem Mann in einen kleinen Raum, in dem der Sekretär hinter einem Schreibpult Platz nahm. Da es keinen weiteren Stuhl gab, blieb Sebastian stehen und wartete.
Der Mann kramte ein Stück Pergament aus einer Lade des Pultes hervor und nahm einen Federkiel zur Hand. » Gut, bitte fangt an. «
Sebastian versuchte, das Grummeln in seinem Inneren zu ignorieren. Abermals ging er in Gedanken jede Einzelheit durch, sammelte sich und
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