Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)
Badewanne, die offensichtlich einige heftige Dellen abbekommen hatte. Ein Braunschopf tauchte darunter auf. Coldlake kam taumelnd auf die Beine, hielt sich eine Hand an die Schläfe. Blut floss zwischen den blassen Fingern hervor. Er blickte in das zerstörte Zimmer, offensichtlich geschockt. Dann sah er Robert an – erleichtert, wie es schien.
»Sind Sie in Ordnung, Sir?« Die Stimme des Schotten klang etwas lallend.
Robert nickte nur. Hatte Coldlake den Ruf nach Poe gehört? Seit er diesen verdammten Zug bestiegen hatte, lief alles schief. Erst das Buch, dann der Revolver und nun auch noch die völlig sinnlose Benutzung eines Namens, den keiner außer ihm kennen durfte.
Der Agent nahm die Hand von seinem blutenden Kopf und betrachtete angestrengt die roten Schlieren darauf, als würde er einen Bericht darüber schreiben müssen. Er wankte noch leicht, aber trat festeren Schrittes in die Mitte des Wagons vor das runde Stück Metall, das einmal zur Decke gehört hatte. Der Schutt knirschte unter seinen Schuhen. Dann blickte er hinauf zu der Öffnung, an der nun der Nachthimmel vorbeizog, als wäre rein gar nichts geschehen, zog die Stirn in Falten und verzog sogleich das Gesicht vor Schmerzen.
Robert fasste sich, band demonstrativ sein Haar nach hinten und fixierte es in einem lässigen Knoten, als würde ihm das öfter passieren, das ein Zugdach über ihm einstürzte. Sein Herz schlug wild dabei.
»Was ist hier gerade passiert, Mr Coldlake?« Robert war erstaunt, wie schnell seine Stimme wieder den Klang eines Lords annehmen konnte.
Der Agent starrte noch immer hinauf zu den geschmolzenen Rändern des Dachs.
»Was wir hier gerade erlebt haben, Lord, war etwas so Seltenes, dass ich eigentlich den Zug stoppen, und sofort die Königin persönlich darüber informieren müsste. Die Frage ist, warum ist es gerade hier und jetzt passierte?«
Robert sah ebenfalls hinauf und zuckte unschuldig mit den Schultern, wobei der linke Arm völlig schlaff blieb. Hatte der Kerl gerade zugegeben, dass er ein Agent war, die Königin kannte und dass diese wiederum den Weg von Robert Humberstone überwachte?
Der Schotte zog ein Taschentuch von der Größe einer halben Tischdecke aus seiner Hosentasche. Er wollte Zeit gewinnen, schnäuzte sich laut und lang. Dann ging er zielstrebig auf die Außenwand zu, betätigte einen verborgenen Schalter und murmelte: »Halten Sie an, wir haben ein Leck im Dach.» Er durchmaß mit seinen Agentenaugen noch einmal die Suite, doch da war nichts mehr zu erkennen außer Chaos.
»Wer oder was ist ein Poe?«, fragte der Agent wie beiläufig, als er fast schon die Schiebetür erreicht hatte.
Robert hatte damit gerechnet.
»Es ist ein Buch. Ein wertvolles zwar, aber nur ein Buch.«
»Meinen Sie etwa Edgar Allan Poe? Den Schriftsteller?«
»Genau den.« Robert schluckte tief. »Eine seltene Ausgabe, signiert.«
Der Agent zog die Schiebetür hinter sich zu. Der Zug wurde langsamer, hielt an. Ein leichter Ruck ließ Robert kurz wanken. Er zählte bis zwanzig.
»Poe?«, dieses Mal fragte er flüsternd.
Rauch kräuselte sich auf seiner Schulter zusammen, verfestigte sich, weder Fell noch Farbe, nur Existenz.
»Himmel, Robbie, was hast du denn nur angestellt, damit einer dieser fürchterlichen Druiden hier persönlich antanzt?«, raunte der kleine Hamster.
Das Königreich Irland war seit Jahrhunderten ein Speergebiet, abgeschottet vom Rest der Zivilisation. Ihre Druiden waren die Wächter des Weltenrunds, auch wenn sie niemand dazu ernannt hatte. Kaum jemand wusste, was dort auf der Insel wirklich vor sich ging. Über ihr Reich und seine Zauberer wurde nur geflüstert, denn die Angst vor dem Unbekannten war finster wie eine Nacht ohne Sterne.
Eine Stunde später stand Robert mit Coldlake im Licht einiger Pulverlampen auf dem Dach des Zuges und beaufsichtigte die Reparaturarbeiten, nachdem sie beide vergeblich versucht hatten, Spuren zu sichern. Der Agent machte sich immer wieder Notizen, die er in ein kleines rotes Büchlein schrieb. Robert fragte sich, was der Schotte da kritzelte, denn es gab keinerlei Hinweise, außer einem kreisrunden Loch im Zug der Königin. Welche Magie da auch immer gewirkt haben mochte, sie hatte sich durch die zauberverstärkten Panzerplatten gebrannt, als wären sie aus Pappe.
Roberts Haare flatterten in einer Böe. Er blickte über die Wagons hinweg auf die Brücke, die im vollen Mond wie das schwarz glänzende Rückgrat eines kilometerlangen Tausendfüßlers
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