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Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)

Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)

Titel: Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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dastand. Die Brücke war in zwei Ebenen gebaut worden. Auf der höheren Ebene fuhren die Züge. Eine Etage tiefer war eine normale Fahrbahn, die für schwere Bodenfahrzeuge und Truppen geeignet war.
    Das Meer war ruhig. Robert bemerkte eine helle Spur auf dem dunklen Wasser. Augenblicke später erkannte er ein Schiff, das fast siebzig Schritt tiefer zwischen den Pfeilern kreuzte. Kurz darauf wurden Lichtsignale von einem der Gefechtstürme gesendet. Es war die Stonehenge , ein Kanonenschiff der Loki-Klasse. Sie war kein Geleitschiff, dafür war sie viel zu langsam für den Zug. Offensichtlich war sie dazu abkommandiert worden, die Pfeiler zu überprüfen, die tief im Meeresboden verankert waren. Dies wurde regelmäßig getan, die Zauber, die in den Trägern eingelegt waren, durften nicht nachlassen, denn die Nordsee war ein raues, sturmgebeuteltes Gewässer.
    Im Osten begann bereits die Dämmerung, als Robert im dritten Geschützturm, der achtern ein Stück vor den Windfängern stand, einen kurzen, hellen Blitz wahrnahm. Es war kein Signal gewesen, denn diese wurden in komplizierten Farb- und Längenfolgen übermittelt. Es hätte das Mündungsfeuer einer Waffe sein können oder das Blitzlicht eines Fotoapparates. Robert erbat den Feldstecher eines der Späher, die ständig die Umgebung nach Unannehmlichkeiten absuchten und richtete die Linsen auf den dritten Geschützturm. Für einen Augenblick glaubte er, dass dort jemand hinter dem schmalen Sehschlitz stand und zu ihm hinauf starrte. Ein Schauer lief Robert über den Rücken, dann verschwand der Schatten. Die Tür zum Turm öffnete sich, eine Gestalt im Umhang trat hinaus, drehte sich noch einmal um, bevor sie unter Deck verschwand. Er gab das Gerät zurück, wobei er einen verwunderten Blick erntete, denn er hatte damit nicht den Horizont abgesucht, sondern ein Schiff der Königin.
    Während über ihm die neue Deckenplatte vernietet wurde, ging Robert durch die Suite. Viel war nicht übrig geblieben. Zum Glück war sein Gepäck in einem hinteren Wagon. Er würde sich in Hammaburg eine Ersatzuniform besorgen müssen. Mit der Stiefelspitze stocherte der Lord in den Trümmern. An einer Wand waren die Überreste seines Revolvers verstreut. Es würde Wochen brauchen, um einen neuen zu bauen. Und dann fiel es ihm siedendheiß ein: das Buch! Das Buch seines Großvaters! Er durchkämmte das Durcheinander, wurde immer hektischer, warf immer wieder einen Blick zur Tür, krabbelte unter das halbzerstörte Bett. Nichts. Nicht einmal ein paar Seiten, oder Fetzen. Er schickte Poe aus, der den Raum wesentlich schneller absuchen konnte, doch der kleine Kerl hob danach nur die leeren Pfoten und seufzte theatralisch, bevor er wieder zu Rauch wurde.
    Diese Reise entwickelte sich langsam zu einem Desaster.
     
     

Träume und schwarzes Glas
     
    Hast du denn gar keinen Hunger mehr, A? Hör mal, du musst etwas essen, wir haben morgen einen langen Weg vor uns.«
    »Warum nennst du mich immer nur A, Vater?«
    »Weil ich so viele hübsche Dinge dahintersetzen kann. Einen blauen Himmel oder eine Wolke, eine Blume …«
    »Was ist mit Anevay?«
    »Das ist nicht dein richtiger Name, den hast du von mir bekommen. Dein wirklicher Name ist noch unterwegs, sozusagen.«
    »Das verstehe ich nicht, Vater.«
    Um sie herum war der durchdringende Geruch von Sandstein. Ein kleines Feuer aus trockenem Holz brannte zwischen Vater und Tochter. Sie waren seit vier Tagen in der alten Anasazi Festung, die unter einem gigantischen Felsüberhang mitten in eine tiefe Schlucht gebaut worden war. Sie war nur noch eine Ruine, aber noch immer konnte man die Vergangenheit dieses Bauwerks bei jedem Atemzug fühlen. Ein herrlicher Ort zum Spielen, wenn man zehn Jahre alt war und den überwältigenden Drang verspürte, auf alles hinauf zu klettern, das höher als ein Teppich war. Und so war Anevay wie eine junge, neugierige Katze durch und über die verlassenen Häuser, Gebetsräume, Vorratskammern und alten Versammlungsorte gekraxelt, gekrochen und gehangelt. Sie hatte Tonscherben untersucht, alte Feuerstellen gefunden, hatte an fast  versteinerten Holzbohlen gerochen, die einst auf den Dächern gelegen hatten und nun wie lose Zeltstangen in die Räume darunter ragten. Oft war sie auch nur am Rand der Schlucht entlang gewandert, genoss das himmlische Gefühl der Tiefe, das ihr in Waden und Rückgrat kitzelte und suchte nach einem Weg hinunter, ohne sich dabei den Hals zu brechen.
    Ihr Vater las viel, saß im

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