Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)
Strähnen von As Hinterkopf wie zum Beweis in die Höhe. »Ffie wollte Magie legen, ehrlich!«
Eines sollte Anevay nun lernen: Dieses Wort, Magie, es änderte Wege. Es veränderte Menschen. Es verwandelte Vertrauen in Misstrauen. Aus einer angedeuteten Bewegung wurde Zögern. Gold wurde zu Silber, aus Silber wurde Dreck. Plötzlich beäugte Mrs Redbliss die lange Haarsträhne wie ein Tatwerkzeug.
»Ist das wahr, Anevay?«
A schüttelte wütend den Kopf, sie war nicht fähig, ihre Zunge zu bewegen. Kein Zyklus. Keine Frau. Kein Mensch.
Niemand.
Sie blickte zu Boden. Ihre Füße standen da, aber sie fühlte sie nicht. Sie waren nicht wirklich. Nur Gegenstände. Ihre Brust hob und senkte sich, doch auch der Atem war unsichtbar.
Niemand.
»Hast du versucht Magie zu legen?«
Nein!
Kein Zyklus. Keine Frau.
Anevays Gedanken verschwanden in einem Sog, gleich hinter ihrer Haut. Sie wollte schreien, doch stattdessen begann sie nun zu weinen, zu schluchzen.
»Ich bin keine Zauberin! So glauben Sie mir doch. Ich weiß nicht, was ich bin, aber das bin ich nicht!« Sie fiel auf die Knie, umklammerte die grauen Schuhe von Mrs Redbliss wie einen Anker und ihre Tränen tropften auf den Boden.
Niemand.
Plötzlich ging die strenge Frau in die Knie, tätschelte unbeholfen ihre Schulter und murmelte: »Ist ja gut, Kleines, ist ja gut. Wir werden es schon noch herausfinden, das verspreche ich dir, Anevay, ja?«
Schlagartig wurde A klar, was diese Worte für sie bedeuten würden: Weitere Tests. Endlose Versuche, solange, bis sie endlich blutete, oder irgendeine Maschine wilden Alarm schlug. Jeder hier in Fallen Angels würde darauf warten, was ihr Körper irgendwann mal offenbaren musste. Egal, wie lange es dauern sollte. Sie würde hier bleiben, für immer, wenn nötig. A würde niemals mehr den Horizont sehen.
Doch trieb sie mit dem restlichen Willen die Tränen zurück, nahm, stolpernden Dank flüsternd, die Hand der Leiterin zu Hilfe und stand auf. Der Raum sah noch immer genauso aus wie zuvor. Fingermann starrte sie prophezeiend an, Jagor taxierend, Mrs Redbliss erleichtert.
Niemand.
Als sie ihren Vater einmal fragte, wer die Ozeane so wühlend sein ließ, wer die Sonne entzündet hatte, wer den Sand in den Wüsten hatte fallen lassen, da schaute er A an, als erblickte er sie zum allerersten Mal. Lange Zeit schwieg er. So lange, dass sie ihre Fragen schon wieder zu vergessen begann.
»Niemand, Anevay«, sagte er irgendwann. Ganz leise und ein wenig traurig auch. »Oder es waren die Götter«, fügte er hinzu, den Blick in die Sterne gerichtet.
»Was sind denn Götter? Wo kommen sie her?« Ihr kindliches Ich wollte Worte. Seine Worte. Viele davon.
»Niemand weiß, woher sie einst kamen, aber alle sind sich einig darüber, dass sie das Licht in die Dunkelheit brachten.« A schaute selbst zum Himmel auf, wo das Licht mit so viel Schwärze vermischt war.
Aber ein Wort konnte ab jetzt nicht länger aus ihr fliehen und ließ sie voller Verzweiflung zurück: Niemand .
Gedankenspiele
Robert legte die Zeitung beiseite. Er war ausgelaugt, rieb sich die Augen. Poe saß in seiner gesunden Hand und schien darin bestens zu dösen. Sein grauweiß gezackter Bauch hob und senkte sich in schnellen Atemzügen. Manchmal kam ein seltsamer Ton von dem kleinen Clangeist. Er träumte scheinbar.
Robert machte sich eine Notiz.
Er stand auf, löschte die Lampe. Poe behielt er in der Hand. Die Schiebetür zum Wohnzimmer stand einen Spalt offen. Seine Schritte waren leise auf dem Teppich. Die Odinstochter lehnte schlafend auf dem Sofa vor dem Bücherregal. Ihr dunkler Helm selbstvergessen neben ihr. Ein Buch lag aufgeschlagen auf ihren tätowierten Knien. Robert beugte sich hinunter: ›Die unwiderlegbaren Ansichten über die Götter. Von Blasius Winkelstein.‹
Robert schüttelte sanft den Kopf über Famkes Lektüre. Der Verfasser saß mittlerweile in einem Haus, das Gitter vor den Fenstern und mit Gummi gepolsterte Zimmer hatte. Seine Worte waren so verwinkelt wie sein Name. Kaum jemand hatte je verstanden, was er da eigentlich zu Papier hatte bringen wollen. Die Magie sei keine aus dem bloßen Äther erworbene Energie, im Gegenteil, sie sollte gar eine stoffliche Persönlichkeit sein. Der Umgang mit ihr musste daher mehr als überlegt und angemessen vonstatten gehen. Ein Verrückter.
Robert stellte das Buch zurück. Er merkte sich die Seitenzahl, die Sätze darunter: ›Wir glauben, dass all dies uns gehört,
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