Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)
doch so ist es nicht. Es ist das Ergebnis einer unbekannten Gleichung, die allmählich, wie ein Fels im steten Wind, wandelbar ist. Abgetragen von jenen Augen, die versuchen, sie in eine Tasche zu stecken und wegzutragen.‹ Wie gesagt: Ein Verrückter!
Sein Arm schmerzte wieder einmal. Das Feuer im Kamin war fast heruntergebrannt. Er legte vorsichtig noch ein paar Scheite auf, denn man hatte das Pulver rationiert, nachdem Nachrichten aus dem Norden gekommen waren, dass die Barometer bereits einen harten Winter ankündigten. Zwar lagen im Hafen hunderte von Frachtern, doch der Kronprinz ließ diese bereits verstärkt bewachen. Selbst ein so renommiertes Haus wie das Atlantik beugte sich solch einer Anweisung. So hatte es innerhalb von nur wenigen Stunden ausreichend Holz in jeder Suite gegeben.
Robert setzte sich an den Kartentisch und beobachtete die Odinstochter, auf deren Rüstung nun die höher züngelnden Flammen Schatten warfen, während er Poe die Ohren zerwuschelte.
Seit vier Wochen stieg sie mit ihm in den Aufzug, setzte mit ihm über auf der Barkasse, blieb an dem Ort stehen, an dem Herzog Leopold sie das erste Mal zurechtgewiesen hatte und wartete, bis er zurückkam. Zurück im Hotel nahm sie den grässlichen Helm ab und lächelte, als hätte sie es nie gelernt.
Er sah sie nicht trinken, nicht essen, nicht ... ›Himmel, musste sie denn nicht auch mal auf die Toilette?‹ Diese junge Frau war ein Rätsel ohne jeden Bezugspunkt.
Robert zog sein Notizbuch hervor. Er blätterte frustriert. Dutzende Seiten, dicht beschrieben mit Ideen, wilden Zahlen, tintenklecksigen Zeichnungen und doch nichts, was den Prinzen zufrieden stellen würde.
»Machen Sie mir einen Läufer, der nicht länger wie ein verdammter Betrunkener durch eine schiefe Gasse wankt!« So in etwa war die mündlich überlieferte Anweisung gewesen. Robert hatte in der Halle gestanden, ungläubig die monumentale Weite derselben in sich aufgenommen, die verschiedenen Geländeparameter bewundert, die darin geschaffen worden waren. Da war eine ganz normale Straße mit lose herabgefallenen Fassaden gewesen. Da gab es bewässertes Gras, Dünensand, schroffe Felsen, Wald und sogar Gräben von einem bis sechs Schritt Breite. Weit dahinter standen, kaum noch auszumachen, Zielscheibensoldaten mit jeweils sechs roten, konzentrischen Kreisen und einer schwarzen Mitte auf ihrer Pappuniform. Robert begriff sofort. Der Kronprinz wollte einen Läufer, der all diese Hindernisse überwand, ohne jeweils dorthin zu schießen, wo eigentlich niemand stand.
Er sollte eine Kriegsmaschine ersinnen, die genau das treffen konnte, was sie auch treffen sollte. Den Gegner. Wo immer dieser sich auch befand.
»Sie sind ein Labyrinthzauberer, nicht wahr?«
Robert blätterte automatisch eine Seite weiter, hob aber den Kopf von den Zeilen. Er war nicht sonderlich überrascht, dass Famke diese Frage stellte. Was ihn überraschte, war, dass sie so lautlos hinter ihn treten konnte, ohne dass Poe auch nur mit einem Haar dabei zuckte. Dieser drehte sich gemütlich und schob alle vier Pfoten unter seinen warmen Bauch. Süßer Verräter!
»Ja.«
»Warum?« Famke setzte sich ihm gegenüber. Robert senkte den Blick wieder. Die Kerze zwischen ihnen flackerte.
Ja, warum? Erbfolge war die schnellste, einfachste Antwort. Die Magie hatte einen sehr langen Weg hinter sich, dies war in vielen Schriften gründlich überliefert. Man hatte sie gar auf Höhlenzeichnungen entdeckt, die über 20.000 Jahre alt waren, so nahmen Wissenschaftler an.
Tausende Jahre von Vermutungen. Wann was wo angefangen hatte, wer konnte es letztendlich sagen? Sicher war sich niemand, außer Winkelstein. Was aber so gut wie jedermann wusste, war, dass die Magie in Steinen wohnte, ja, förmlich daraus entsprang. Und eines tat ein Zauberer immer: Seine Magie niemals einem anderen preiszugeben! Dafür gab es sogar Gesetze. Wirkungsvolle Gesetze. Bis heute rätselten Gelehrte, Mystiker, Schriftsteller und Stammtischanwesende darüber, was da eigentlich passierte, außer Winkelstein. Ein unumstößliches Faktum aber war die Geschichte um Sariel und Rudak . Er war ein begabter Zauberer des Meeres, sie eine Magierin der Wolken. Sie verfielen einander vom ersten Augenblick an. Aus seiner Seele waren ihre Haare geformt, die den Himmel wie ein Flüstern durchzogen. Ihr Leib speiste sich aus der Gischt seiner Lippen, die von ewigen Zeiten sprachen. Doch da sie einander verboten waren, gerieten sie zunehmend in Wut.
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