Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
erwiderte Ned und fragte sich, wie ein Mann sein Leben lang nur wenige Tagesritte vom Roten Bergfried entfernt wohnen und dennoch keine Ahnung davon haben konnte, wie sein König aussah. Ned trug ein weißes Leinenwams mit dem Schattenwolf der Starks auf der Brust. Sein schwarzer Wollumhang war am Kragen mit der silbernen Hand seines Amtes befestigt. Schwarz und weiß und grau, alle Schattierungen der Wahrheit. »Ich bin Lord Eddard Stark, die Hand des Königs. Sagt mir, wer Ihr seid und was Ihr über diese Räuber wisst.«
»Ich führe … ich führte … ich führte eine Bierschenke, M’lord, in Sherrer. Das beste Bier südlich der Eng, alle sagten das, ich bitte um Verzeihung, M’lord. Jetzt ist es weg, wie alles andere auch, M’lord. Sie kamen und tranken und verschütteten den Rest, bevor sie mein Dach anzündeten, und sie hätten auch mein Blut vergossen, wenn sie mich zu fassen gekriegt hätten, M’lord.«
»Sie haben uns ausgeräuchert«, berichtete der Bauer neben ihm. »Kamen in der Dunkelheit, von Süden her, und
haben Felder und Häuser gleichermaßen angesteckt und jeden getötet, der versuchte, sie aufzuhalten. Nur waren es keine Räuber, M’lord. Sie wollten unsere Vorräte nicht stehlen, nein, denn sie haben meine Milchkuh erschlagen und sie den Fliegen und Krähen überlassen.«
»Sie haben meinen Lehrjungen niedergeritten«, wagte sich ein stämmiger Mann mit den Muskeln eines Schmieds und einem Verband um den Kopf vor. Er hatte seine feinsten Kleider angelegt, um bei Hofe zu erscheinen, doch seine Hosen waren geflickt, sein Umhang von der Reise verschmutzt und voller Staub. »Haben ihn auf ihren Pferden kreuz und quer durch die Felder gejagt, mit ihren Lanzen auf ihn eingestochen, als wäre es ein Spiel, und dabei haben sie gelacht, und der Junge taumelte und schrie, bis der Große ihn glatt durchbohrt hat.«
Das Mädchen auf den Knien reckte den Hals zu Ned auf, hoch über ihr auf dem Thron. »Auch meine Mutter haben sie getötet, Majestät. Und sie … sie …« Ihre Stimme erstarb, als hätte sie vergessen, was sie eben sagen wollte. Sie begann zu schluchzen.
Ser Raymun Darry nahm die Geschichte auf. »In Wendisch haben die Leute Zuflucht in ihrer Festung gesucht, aber die Mauern waren aus Holz. Die Angreifer haben Stroh daran aufgehäuft und sie alle bei lebendigem Leib verbrannt. Als die Menschen ihre Tore öffneten, um dem Feuer zu entfliehen, hat man sie mit Pfeilen niedergemacht, selbst Frauen mit Säuglingen.«
»Oh, grauenvoll«, murmelte Varys. »Wie grausam können Menschen sein!«
»Mit uns hätten sie dasselbe gemacht, nur ist die Feste Sherrer aus Stein«, sagte Joss. »Einige wollten uns ausräuchern, aber der Große sagte, flussaufwärts gäbe es reichere Ernte, und da sind sie nach Mummersfurt gezogen.«
Ned fühlte den Stahl an seinen Händen, als er sich vorbeugte.
Zwischen allen Fingern waren Klingen, und die Spitzen verdrehter Schwerter breiteten sich wie Krallen fächerförmig von den Lehnen des Thrones aus. Selbst nach drei Jahrhunderten waren einige davon noch so scharf, dass man sich an ihnen schneiden konnte. Der Eiserne Thron war voller Fallen für den Unachtsamen. In den Liedern hieß es, tausend Klingen seien nötig gewesen, ihn zu bauen, weiß glühend erhitzt im Höllenatem Balerions, des Schwarzen Schreckens. Neunundfünfzig Tage hatte das Hämmern gedauert. Am Ende war dieses bucklige, schwarze Ungetüm aus scharfen Kanten und Widerhaken und gezacktem Metall herausgekommen. Ein Stuhl, der einen Menschen töten konnte und das auch schon getan hatte, falls man den Geschichten Glauben schenken durfte.
Weshalb Eddard Stark darauf saß, würde er nie begreifen, aber hier saß er, und diese Leute suchten bei ihm Gerechtigkeit. »Welchen Beweis habt Ihr, dass es Lennisters waren?«, fragte er und bemühte sich, seinen Zorn im Zaum zu behalten. »Haben sie rote Umhänge getragen oder ein Löwenbanner geschwenkt?«
»Nicht einmal die Lennisters wären so strohdumm«, fuhr Ser Marq Peiper ihn an. Er war ein großspuriger, draufgängerischer kleiner Bursche, für Neds Geschmack zu jung und zu heißblütig, doch ein enger Freund von Catelyns Bruder Edmure Tully.
»Sie alle waren zu Pferd und mit Kettenhemd gepanzert, Mylord«, antwortete Ser Karyl ruhig. »Stahlbeschlagene Lanzen und Langschwerter trugen sie und Streitäxte zum Morden.« Er deutete auf einen der zerlumpten Überlebenden. »Du. Ja, du, keiner tut dir was. Erzähl der Hand, was du mir erzählt
Weitere Kostenlose Bücher