Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
Sie würden noch vor der Ernte auf Winterfell sein. Ned konnte seine Sorge um ihre Sicherheit nicht mehr als Ausrede für seine Verspätung benutzen.
Doch hatte er letzte Nacht von Rhaegars Kindern geträumt. Lord Tywin hatte die Leichen unter den Eisernen Thron gelegt, in die roten Umhänge seiner Leibgarde gewickelt. Das war klug von ihm. Das Blut war auf dem roten Tuch nicht so gut zu sehen. Die kleine Prinzessin war barfuß gewesen, noch in ihrem Schlafhemd, und der Junge … der Junge …
Ned durfte es nicht noch einmal geschehen lassen. Noch einen irren König, noch einen Tanz von Blut und Rache würde das Reich nicht überleben. Er musste eine Möglichkeit finden, die Kinder zu retten.
Robert konnte gnädig sein. Ser Barristan war nicht der Einzige, den er je begnadigt hatte. Großmaester Pycelle, die
Spinne Varys, Lord Balon Graufreud, sie alle hatte Robert einst zu seinen Feinden gezählt, und alle waren in Freundschaft aufgenommen worden und durften für ihren Treueeid in Amt und Ehren bleiben. Solange ein Mann mutig und ehrlich war, behandelte Robert ihn mit allem Respekt, der einem tapferen Feind zustand.
Dies hier war etwas anderes: Gift im Dunkeln, ein Messer, das in die Seele stach. So etwas konnte er niemals verzeihen, ebenso wie er Rhaegar nicht vergeben konnte. Er wird sie alle töten, dachte Ned.
Und dennoch wusste er, dass er nicht schweigen durfte. Er hatte eine Pflicht Robert gegenüber, dem Reich, Jon Arryns Schatten … und Bran, der offenbar über einen Teil der Wahrheit gestolpert war. Warum sonst hätten sie versuchen sollen, ihn zu ermorden?
Am späten Nachmittag rief er Tomard, den beleibten Wachmann mit dem ingwerfarbenen Backenbart, den seine Kinder den dicken Tom nannten. Da Jory tot war und Alyn fort, hatte der dicke Tom das Kommando über seine Leibwache bekommen. Der Gedanke erfüllte Ned mit einiger Unruhe. Tomard war ein guter Mann: umgänglich, loyal, unermüdlich, in begrenztem Rahmen fähig, aber er war fast fünfzig und selbst in seiner Jugend nie energisch gewesen. Vielleicht hätte Ned nicht so voreilig die Hälfte seiner Garde fortschicken sollen, und mit ihr seine besten Streiter.
»Ich werde Eure Hilfe brauchen«, sagte Ned, als Tomard erschien und dabei etwas ängstlich wirkte, wie immer, wenn er vor seinen Herrn trat. »Bringt mich zum Götterhain. «
»Ist das klug, Lord Eddard? Mit Eurem Bein?«
»Vielleicht nicht. Trotzdem notwendig.«
Tomard rief Varly. Mit den Armen um die Schultern der beiden Männer schaffte es Ned, die steile Turmtreppe
hinabzusteigen und über den Burghof zu humpeln. »Ich möchte, dass die Wache verdoppelt wird«, erklärte er dem dicken Tom. »Niemand betritt oder verlässt den Turm der Hand ohne meine Erlaubnis.«
Tom blinzelte. »M’lord, da Alyn und die anderen fort sind, stehen wir schon jetzt unter größtem Druck …«
»Es wird nicht ewig dauern. Verlängert die Schichten.«
»Wie Ihr meint, M’lord«, antwortete Tom. »Darf ich fragen, wieso …«
»Lieber nicht«, antwortete Ned knapp.
Der Götterhain war leer wie stets in diesem Bollwerk der südlichen Götter. Neds Bein schien zu schreien, als sie ihn auf dem Gras neben dem Herzbaum absetzten. »Danke.« Er zog ein Blatt Papier aus dem Ärmel, versiegelt mit dem Wappen seines Hauses. »Seid so gut, dieses hier sofort zu überstellen.«
Tomard betrachtete den Namen, den Ned auf das Papier geschrieben hatte, und leckte furchtsam über seine Lippen. »Mylord …«
»Tut, was ich Euch aufgetragen habe, Tom«, sagte Ned.
Wie lange er in der Stille des Götterhains gewartet hatte, konnte er nicht sagen. Hier war es friedlich. Die dicken Mauern sperrten den Lärm der Burg aus, und er hörte Vögel singen, das Zirpen der Grillen, das Rascheln der Blätter im sanften Wind. Der Herzbaum war eine Eiche, braun und ohne Gesicht, und dennoch spürte Ned seine Götter. Sein Bein schien nicht mehr so sehr zu schmerzen.
Sie kam in der Abenddämmerung, als sich die Wolken über den Mauern und Türmen schon röteten. Sie kam allein, worum er sie gebeten hatte. Ausnahmsweise war sie schlicht gekleidet, mit Lederstiefeln und grünem Jagdzeug. Als sie die Kapuze ihres braunen Umhangs zurückzog, sah er die Prellung, wo der König sie geschlagen hatte. Die böse Pflaumenfarbe war zu Gelb verblasst und die Schwellung
abgeklungen, doch konnte kein Zweifel daran bestehen, worum es sich dabei handelte.
»Warum hier?«, fragte Cersei Lennister, die über ihm aufragte.
»Damit die
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