Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
ist passiert?«, fragte er.
Pyp sprach mit leiser Stimme. »Der König ist tot.«
Jon war verblüfft. Robert Baratheon hatte alt und dick ausgesehen, als er Winterfell besuchte, schien dennoch rüstig genug, und von einer Krankheit war nie die Rede gewesen. »Woher weißt du das?«
»Einer der Wachmänner hat belauscht, wie Klydas Maester Aemon den Brief vorgelesen hat.« Pyp beugte sich nah vor. »Jon, es tut mir leid. Er war der Freund deines Vaters, nicht?«
»Sie standen sich nah wie Brüder. Früher«, Jon fragte sich, ob Joffrey seinen Vater als Hand des Königs behalten wollte. Das war eher unwahrscheinlich. Es mochte bedeuten, dass Lord Eddard nach Winterfell heimkehrte und
seine Schwestern ebenso. Vielleicht würde man ihm sogar gestatten, sie zu besuchen, mit Lord Mormonts Erlaubnis. Es täte gut, Aryas Grinsen wieder zu sehen und mit seinem Vater zu sprechen. Ich werde ihn nach meiner Mutter fragen, nahm er sich vor. Jetzt bin ich ein Mann, und es wird höchste Zeit, dass er es mir sagt. Selbst wenn sie eine Hure war, es ist mir egal, ich will es wissen.
»Ich habe gehört, wie Hake sagte, die toten Männer gehörten zu deinem Onkel«, sagte Pyp.
»Ja«, erwiderte Jon. »Zwei von den sechsen, die er mitgenommen hat. Sie waren schon lange tot, nur … die Leichen sind in einem seltsamen Zustand.«
»Seltsam?« Pyp war die Neugier selbst. »Wieso seltsam?«
»Sam wird es dir erzählen.« Jon wollte nicht darüber sprechen. »Ich will sehen, ob der Alte Bär mich braucht.«
Allein ging er zum Turm des Lord Kommandanten, erfüllt von einem eigentümlichen Gefühl der Sorge. Die Brüder, die dort Wache hielten, musterten ihn ernsten Blickes, als er sich ihnen näherte. »Der Alte Bär ist in seinem Solar«, erklärte einer. »Er hat nach dir gefragt.«
Jon nickte. Er hätte gleich vom Stall herüberkommen sollen. Eilig erklomm er die Stufen des Turmes. Er will Wein oder ein Feuer in seinem Kamin, mehr nicht, redete er sich ein.
Als er das Solar betrat, schrie Mormonts Rabe ihn an. »Korn!« , kreischte der Vogel. »Korn! Korn! Korn!«
»Glaub ihm kein Wort, ich habe ihn eben gefüttert«, knurrte der Alte Bär. Er saß am Fenster, las einen Brief. »Bring mir einen Becher Wein, und schenk dir selbst auch einen ein.«
»Für mich, Mylord?«
Mormont hob die Augen vom Brief, um Jon anzublicken. Mitgefühl lag in seinen Augen, das war nicht zu übersehen. »Du hast mich gehört.«
Jon goss mit übertriebener Vorsicht ein, merkte, dass er es in die Länge zog. Wenn die Becher gefüllt wären, hätte er keine andere Wahl mehr, müsste sich dem stellen, was in dem Brief geschrieben stand. Allzu bald schon waren sie randvoll. »Setz dich, Junge«, befahl ihm Mormont. »Trink.«
Jon blieb stehen. »Es geht um meinen Vater, nicht?«
Der Alte Bär tippte mit dem Finger auf den Brief. »Um deinen Vater und den König«, grollte er. »Ich will dich nicht belügen, es sind traurige Nachrichten. Nie hätte ich gedacht, dass ich noch einen neuen König erlebe, nicht in meinem Alter, da Robert halb so alt wie ich und stark wie ein Bulle war.« Er nahm einen Schluck Wein. »Man sagt, der König sei gern zur Jagd gegangen. Die Dinge, die wir lieben, sind stets auch die, die uns zerstören. Vergiss das nicht. Mein Sohn hat seine junge Frau geliebt. Eitles Weib. Wenn es nicht nach ihr gegangen wäre, hätte er nie daran gedacht, diese Wilderer zu verkaufen.«
Jon konnte dem, was er sagte, kaum noch folgen. »Mylord, ich verstehe nicht. Was ist mit meinem Vater passiert? «
»Ich habe gesagt, du sollst dich setzen«, knurrte Mormont. »Setzen«, kreischte der Rabe. »Und trink was, verdammt noch mal. Das ist ein Befehl, Schnee.«
Jon setzte sich und nahm einen Schluck Wein.
»Lord Eddard sitzt im Kerker. Man beschuldigt ihn des Hochverrats. Es heißt, er habe mit Roberts Brüdern den Plan geschmiedet, Prinz Joffrey um den Thron zu bringen.«
»Nein«, sagte Jon sofort. »Das kann nicht sein. Mein Vater würde den König niemals verraten!«
»Wie dem auch sei«, sagte Mormont. »Es steht mir nicht an, das zu beurteilen. Und auch dir nicht.«
»Aber es ist eine Lüge«, beharrte Jon. Wie konnten sie glauben, sein Vater sei ein Verräter? Hatten sie denn alle
den Verstand verloren? Lord Eddard Stark würde sich nie entehren … oder?
Er hat einen Bastard gezeugt, flüsterte eine leise Stimme in seinem Inneren. Was war daran ehrenhaft? Und deine Mutter, was ist mit ihr? Er will nicht einmal ihren Namen
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