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Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell

Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell

Titel: Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R R Martin
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her.
    Ein Albtraum mochte es wohl sein, doch ein Traum war es ganz sicher nicht.
    Das Schwert des Wachmanns steckte in der Scheide. Jon kniete nieder und zog es heraus. Das stählerne Heft in der Faust machte ihn kühner. Er schlich die Stufen hinauf, Geist folgte ihm schweigend. Schatten lauerten in jeder Wende der Treppe. Vorsichtig lief Jon voran, prüfte verdächtiges Dunkel mit der Spitze seines Schwerts.
    Plötzlich hörte er Mormonts Raben kreischen. »Korn«, schrie der Vogel. »Korn, Korn, Korn, Korn, Korn, Korn.« Geist sprang voraus, und Jon stieg ihm hinterher. Die Tür zu Mormonts Solar stand weit offen. Der Schattenwolf stürzte hindurch. Jon blieb im Rahmen stehen, die Klinge in der Hand, ließ seinen Augen einen Moment, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Schwere Vorhänge waren vor die Fenster gezogen, und die Finsternis war schwarz wie Tinte. »Wer ist da?« , rief er.
    Dann sah er es: Ein Schatten im Schatten schlich zur inneren Tür, die in Mormonts Schlafkammer führte, eine menschliche Gestalt, ganz in Schwarz, mit Umhang und Kapuze … doch unter der Kapuze leuchteten Augen mit eisig blauem Glanz …
    Geist sprang. Mann und Wolf gingen gemeinsam zu Boden, ohne Schreien oder Knurren, rollten, krachten an einen Stuhl, stießen einen Tisch voller Papiere um. Mormonts Rabe flatterte über ihnen, schrie: »Korn, Korn, Korn, Korn.« Jon fühlte sich so blind wie Maester Aemon. Mit der Wand im Rücken schob er sich ans Fenster und riss die Vorhänge auf. Mondlicht flutete das Solar. Er sah schwarze Hände,
die sich in weißes Fell gruben, geschwollene, dunkle Hände, die sich dem Schattenwolf um die Kehle legten. Geist zappelte und schnappte um sich, warf die Beine in die Luft und konnte sich trotzdem nicht befreien.
    Jon blieb keine Zeit für Angst. Er warf sich nach vorn, schrie, legte sein ganzes Gewicht in den Hieb mit dem Langschwert. Stahl fuhr durch Ärmel und Haut und Knochen, doch irgendwie war das Geräusch nicht richtig. Der Geruch, der ihn umfing, war so seltsam und kalt, dass er daran zu ersticken meinte. Er sah Arm und Hand am Boden liegen, schwarze Finger, die in einem Fleck von Mondlicht zuckten. Geist riss sich von der anderen Hand los und schlich davon, mit roter Zunge, die ihm aus dem Maul hing.
    Der Kapuzenmann hob sein fahles Mondgesicht, und Jon hieb ohne Zögern darauf ein. Das Schwert teilte den Eindringling bis auf die Knochen, hieb ihm die halbe Nase ab und schlug eine klaffende Wunde von Wange zu Wange, unter diesen Augen, Augen, Augen wie brennende, blaue Sterne. Jon kannte das Gesicht. Othor, dachte er und wich zurück. Bei allen Göttern, er ist tot. Ich habe ihn doch tot gesehen.
    Er fühlte, dass etwas an seinem Knöchel kratzte. Schwarze Finger krallten sich in seine Wade. Der Arm kroch an seinem Bein hinauf, riss an Wolle und Fleisch. Voller Abscheu schrie Jon auf, löste die Finger mit der Schwertspitze von seinem Bein und warf das Ding von sich. Sich windend lag es da, öffnete und schloss sich.
    Die Leiche machte einen Satz nach vorn. Blut war nicht zu sehen. Einarmig, das Gesicht fast in zwei Hälften, schien sie nichts zu spüren. Jon hielt das Langschwert vor sich ausgestreckt. »Bleib weg von mir!«, befahl er mit schriller Stimme. »Korn«, kreischte der Rabe, »Korn, Korn.« Der abgehackte Arm schlängelte sich aus dem zerrissenen Ärmel,
eine blasse Schlange mit fünffingrigem Kopf. Geist stürzte sich darauf und bekam das Ding zwischen die Zähne. Handknochen knirschten. Jon hackte auf den Hals der Leiche ein, spürte, wie der Stahl tief und hart einschnitt.
    Der tote Othor stürzte gegen ihn, warf ihn von den Beinen.
    Jon ging die Luft aus, als der umgestürzte Tisch ihn zwischen die Schulterblätter traf. Das Schwert, wo war das Schwert? Er hatte das verdammte Schwert verloren! Er öffnete den Mund, wollte schreien, da rammte ihm die Kreatur die schwarzen Finger in den Mund. Würgend versuchte er, sie wegzustoßen, doch der tote Mann war zu schwer. Seine Hand drückte sich immer tiefer in seine Kehle, eisig kalt, erstickte ihn. Das Gesicht der Leiche war ganz nah an seinem eigenen, füllte die ganze Welt aus. Frost bedeckte ihre Augen, glitzernd blau. Jon kratzte mit seinen Nägeln über kalte Haut und trat nach den Beinen dieses Wesens. Er versuchte zu beißen, versuchte zu schlagen, versuchte zu atmen …
    Und plötzlich war das Gewicht der Leiche fort, ihre Finger von seinem Hals gerissen. Jon konnte sich nur noch seitwärts rollen, würgend und

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