Das Lied von Eis und Feuer 04 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 04 - A Clash of Kings (Pages 332-728)
sich auf diesen Moment vorbereitet. Hat sich Robb so vor seiner ersten Schlacht gefühlt?, fragte er sich, doch ihm blieb keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Steinschlange bewegte sich so schnell wie seine Namensvetterin, er erhob sich und sprang in einem Steinhagel hinunter zu den Wildlingen. Jon zog Langklaue aus der Scheide und folgte ihm.
Alles schien nur einen Herzschlag lang zu dauern. Später musste Jon den Mut des Wildlings bewundern, der zuerst nach dem Horn griff statt nach seiner Waffe. Er brachte es noch an die Lippen, doch ehe er hineinstoßen konnte, hatte Steinschlange es ihm mit dem Kurzschwert aus der Hand geschlagen. Jons Mann sprang auf und stieß mit einem brennenden Scheit nach ihm. Jon spürte die Hitze der Flammen, als er zurückzuckte. Aus den Augenwinkeln sah er, dass sich der Schläfer regte, und er wusste, dass er schnell mit seinem Gegenüber fertig werden musste. Als der Mann erneut mit dem Scheit ausholte, warf er sich vor und schwang das Bastardschwert mit beiden Händen. Der valyrische Stahl schnitt durch Leder, Fell, Wolle und Fleisch, doch als der Wildling fiel, riss er ihm das Schwert aus der Hand. Auf dem Boden setzte sich der Schlafende unter den Fellen auf. Jon zog seinen langen Dolch, packte den Mann am Haar und drückte ihm die Messerspitze unter das Kinn, während er nach seinem – nein, ihrem –
Seine Hand erstarrte. »Ein Mädchen.«
»Eine Wächterin«, erwiderte Steinschlange. »Ein Wildling. Töte sie.«
Jon sah die Furcht und das Feuer in ihren Augen. Blut rann dort, wo sein Dolch ihre Haut verletzt hatte, die Kehle hinunter. Einmal zustoßen, und es ist erledigt, sagte er sich. Er war ihr so nah, dass er die Zwiebeln in ihrem Atem riechen konnte.
Sie ist nicht älter als ich. Irgendetwas an ihr erinnerte ihn an Arya, obwohl sie seiner Halbschwester nicht im Geringsten ähnelte. »Ergibst du dich?«, fragte er und drehte den Dolch ein wenig herum. Und wenn nicht?
»Ich ergebe mich.« Ihre Worte dampften in der kalten Luft.
»Dann bist du jetzt unsere Gefangene.« Er zog den Dolch von der weichen Haut ihres Halses zurück.
»Qhorin hat nichts davon gesagt, Gefangene zu machen«, meinte Steinschlange.
»Und auch nichts davon, es nicht zu tun.« Jon ließ das Haar des Mädchens los, und sie wich rückwärts vor ihm zurück.
»Sie ist eine Speerfrau.« Steinschlange deutete auf die lange Axt, die neben den Fellen lag. »Sie hat gerade danach gegriffen, als du sie gepackt hast. Gib ihr den Hauch einer Chance, und sie rammt dir die Axt zwischen die Augen.«
»Ich werde ihr keine Gelegenheit dazu geben.« Jon stieß die Axt mit dem Fuß außer Reichweite des Mädchens. »Hast du einen Namen?«
»Ygritte.« Sie rieb sich den Hals und starrte auf das Blut an ihrer Hand.
Jon steckte den Dolch in die Scheide und zog Langklaue mit einem Ruck aus dem Leichnam des Mannes, den er getötet hatte. »Du bist meine Gefangene, Ygritte.«
»Ich habe dir meinen Namen genannt.«
»Ich heiße Jon Schnee.«
Sie zuckte zusammen. »Ein schlimmer Name.«
»Der Name eines Bastards«, antwortete er. »Mein Vater war Lord Eddard Stark von Winterfell.«
Das Mädchen beäugte ihn wachsam, doch Steinschlange lachte grimmig. »Es ist immer der Gefangene, der reden soll, vergessen?« Der Grenzer hielt einen langen Zweig ins Feuer. »Nicht dass sie reden wird. Ich habe Wildlinge gesehen, die sich eher die Zunge abbissen, als nur eine einzige Frage
zu beantworten.« Das Ende des Zweigs brannte, und Steinschlange machte zwei Schritte und warf ihn weit hinaus in den Pass. Wirbelnd fiel er durch die Nacht, bis er außer Sicht war.
»Ihr solltet die verbrennen, die ihr getötet habt«, sagte Ygritte.
»Dazu bräuchten wir ein größeres Feuer, und große Feuer leuchten hell.« Steinschlange drehte sich um und suchte in der schwarzen Ferne nach weiteren Feuern. »Sind noch mehr Wildlinge in der Nähe, ist es deshalb?«
»Verbrennt sie«, beharrte das Mädchen, »oder ihr braucht vielleicht bald wieder eure Schwerter.«
Jon erinnerte sich an den toten Othor und seine kalten schwarzen Hände. »Vielleicht sollten wir lieber tun, was sie sagt.«
»Es gibt noch andere Möglichkeiten.« Steinschlange kniete neben dem Mann nieder, den er erschlagen hatte und zog ihm Mantel, Stiefel, Gürtel und Weste aus, dann hievte er sich den Leichnam über die Schulter und trug ihn zur Kante. Grunzend warf er ihn hinunter. Einen Augenblick später hörten sie ein dumpfes Klatschen aus der Tiefe.
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