Das Lied von Eis und Feuer 04 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 04 - A Clash of Kings (Pages 332-728)
Joffrey.«
»Von Sturmkap ist es eine weite Fahrt, und die Flotte muss erst einmal um Massies Haken herum, dann durch die Gurgel und schließlich die Schwarzwasser-Bucht überqueren, um herzukommen. Vielleicht senden die guten Götter einen Sturm, der sie vom Meer fegt.« Dontos lächelte hoffnungsfroh. »Es ist nicht leicht für Euch, ich weiß. Dennoch müsst Ihr Euch in Geduld üben, Kind. Wenn mein Freund in die Stadt zurückkehrt, werden wir unser Schiff haben. Vertraut Eurem Florian und fürchtet Euch nicht.«
Sansa vergrub die Fingernägel in ihrer Hand. Sie fühlte die Furcht in ihrem Leib, und jeden Tag nagte sie stärker an ihr. Albträume von jenem Tag, an dem Prinzessin Myrcella abgefahren war, verfolgten sie noch immer im Schlaf; düstere, erdrückende Träume ließen sie mitten in finsterster Nacht aufwachen und nach Luft schnappen. Sie hörte, wie die Menschen sie anschrien, sie ohne Worte anschrien, wie Tiere. Sie hatten sie umzingelt und warfen Dreck nach ihr und versuchten, sie vom Pferd zu zerren, und sie hätten ihr Schlimmeres angetan, wäre der Bluthund nicht zu ihr vorgedrungen. Den Hohen Septon hatten sie in Stücke gerissen, Ser Arons Kopf mit einem Stein zermalmt. Fürchtet Euch nicht!, sagte er.
Die ganze Stadt fürchtete sich. Sansa konnte es von den Burgmauern aus sehen. Das gemeine Volk versteckte sich hinter verrammelten Türen und Fenstern, als ob es dahinter sicher wäre. Als Königsmund das letzte Mal gefallen war, hatten die Lennisters nach Belieben geplündert und geschändet und Hunderte ermordet, obwohl die Stadt ihre Tore freiwillig geöffnet hatte. Diesmal wollte der Gnom kämpfen, und eine Stadt, die sich wehrte, durfte überhaupt keine Gnade erwarten.
Dontos plapperte weiter. »Wenn ich noch immer Ritter wäre, müsste ich eine Rüstung anlegen und mit den anderen Männern auf den Mauern stehen. Ich sollte König Joffrey die Füße küssen und ihm danken.«
»Wenn Ihr ihm dafür dankt, dass er Euch zum Narren gemacht hat, wird er Euch umgehend wieder zum Ritter schlagen«, warnte ihn Sansa scharf.
Dontos kicherte. »Meine Jonquil ist ein kluges Mädchen, nicht wahr?«
»Joffrey und seine Mutter sagen, ich sei dumm.«
»Sollen sie nur. Auf die Weise ist es sicherer für Euch, meine Süße. Königin Cersei und der Gnom und Lord Varys und sie alle beobachten einander mit Adleraugen, und jeder bezahlt seine Spione, um zu erfahren, was die anderen tun, doch niemand kümmert sich um Lady Tandas Tochter, oder?« Dontos bedeckte den Mund, um einen Rülpser zu unterdrücken. »Die Götter mögen Euch beschützen, meine kleine Jonquil.« Er wurde rührselig. Das kam vom Wein. »Gebt Eurem Florian einen Kuss. Einen Glückskuss.« Er schwankte auf sie zu.
Sansa wich seinen feuchten Lippen aus und küsste ihn leicht auf die unrasierte Wange, dann wünschte sie ihm eine gute Nacht. Sie musste sich sehr anstrengen, nicht zu weinen. In letzter Zeit hatte sie viel zu oft geweint. Das schickte sich nicht, das wusste sie, trotzdem konnte sie sich nicht beherrschen; die Tränen kamen einfach ungebeten, manchmal wegen einer Kleinigkeit, und keine Macht der Welt konnte sie zurückhalten.
Die Zugbrücke zu Maegors Feste war nicht bewacht. Der Gnom hatte die meisten Goldröcke auf die Stadtmauern versetzt, und die weißen Ritter der Königsgarde hatten Wichtigeres zu tun, als ihr auf Schritt und Tritt zu folgen. Sansa konnte gehen, wohin sie wollte, solange sie die Burg nicht verließ, allerdings gab es hier keinen Ort, nach dem es sie verlangte.
Sie überquerte den trockenen Burggraben mit den grausigen Eisenstacheln und stieg die schmale Wendeltreppe hinauf, doch als sie die Tür ihres Zimmers erreichte, konnte sie sich nicht überwinden einzutreten. Innerhalb der Wände des
Gemachs fühlte sie sich gefangen; selbst wenn das Fenster weit offen stand, fehlte ihr die Luft zum Atmen.
Sie wandte sich wieder zur Treppe um und stieg weiter hinauf. Der Rauch verdunkelte die Sterne und die dünne Mondsichel, daher war es auf dem Dach dunkel. Dennoch konnte sie alles von hier aus sehen: die hohen Türme und großen Plätze des Roten Bergfrieds, das Labyrinth der Straßen darunter, im Süden und Westen den schwarzen Lauf des Flusses, die Bucht im Osten, die Rauchsäulen und die Glut und Feuer, überall Feuer. Soldaten wimmelten über die Stadtmauern wie Ameisen mit Fackeln. Unten am Schlammtor konnte sie gegen den dahintreibenden Rauch die riesigen Schemen der drei Katapulte ausmachen, die
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