Das Lied von Eis und Feuer 04 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 04 - A Clash of Kings (Pages 332-728)
größten, die man je gesehen hatte; sie überragten die Mauern um gute sieben Meter. Trotzdem besänftigten sie ihre Angst nicht. Ein heftiger Stich durchfuhr Sansa, sodass sie aufschluchzte und sich den Bauch hielt. Beinahe wäre sie gestürzt, doch plötzlich bewegte sich im Dunkeln ein Schatten, packte sie mit kräftigen Händen und hielt sie aufrecht.
Sie stützte sich auf eine Zinne, und ihre Finger kratzten über den rauen Stein. »Lasst mich los«, rief sie. »Lasst los.«
»Der kleine Vogel glaubt, er hätte Flügel, wie? Oder willst du so verkrüppelt enden wie dein Bruder?«
Sansa wand sich in seinem Griff. »Ich wäre nicht hinuntergefallen. Es war nur … Ihr habt mich erschreckt, mehr nicht.«
»Du willst sagen, ich hätte dir Angst eingejagt. Und tue es noch immer.«
Sie holte tief Luft und beruhigte sich wieder. »Ich habe geglaubt, ich wäre allein, ich …« Sie blickte zur Seite.
»Der kleine Vogel kann mir immer noch nicht ins Gesicht schauen, was?« Der Bluthund ließ sie los. »Trotzdem hast du dich gefreut, mich zu sehen, als der Pöbel über dich herfiel. Erinnerst du dich?«
Sansa erinnerte sich nur zu gut daran. Sie erinnerte sich an das Heulen des Mobs, daran, wie Blut über ihre Wange gelaufen war, weil sie ein Stein getroffen hatte, an den Knoblauchgestank des Mannes, der sie vom Pferd zerren wollte. Sie spürte noch immer das grausame Zwicken seiner Finger, während sie das Gleichgewicht verlor und langsam aus dem Sattel rutschte.
Sie hatte geglaubt, sterben zu müssen, doch die Finger hatten gezuckt, alle fünf auf einmal, und der Mann hatte so laut gebrüllt wie ein Stier. Nachdem seine Hand verschwunden war, hatte eine andere stärkere Hand Sansa zurück in den Sattel gestoßen. Der Mann mit dem Knoblauchatem lag auf dem Boden, und Blut spritzte aus dem Stumpf seines Arms, doch er war nicht der Einzige, der sie umzingelte, und manche hatten Knüppel in der Hand. Der Bluthund war auf sie losgegangen, seine Klinge war hin und her gesaust und hatte roten Dunst durch die Luft gezogen. Als der Pöbel endlich vor ihm davongelaufen war, hatte er gelacht, und sein schreckliches, verbranntes Gesicht hatte sich für einen Augenblick verwandelt.
Jetzt zwang sie sich, in dieses Gesicht zu schauen, wirklich hinzuschauen. Es war ein Gebot der Höflichkeit, und die Höflichkeit durfte eine Dame niemals missachten. Die Narben sind gar nicht das Schlimmste, nicht einmal die Art, wie sein Mund zuckt. Es sind die Augen. Niemals zuvor hatte sie Augen gesehen, in denen solcher Zorn loderte. »Ich … ich hätte danach zu Euch kommen sollen«, sagte sie zögerlich. »Um Euch zu danken … weil Ihr mich gerettet habt … Ihr wart so tapfer.«
»Tapfer?« Sein Lachen klang wie ein Knurren. »Ein Hund braucht keinen Mut, um Ratten zu vertreiben. Sie waren mir dreißig zu eins überlegen, und trotzdem hat es niemand gewagt, sich mir in den Weg zu stellen.«
Sie hasste es, wie er redete, stets so schroff und wütend. »Macht es Euch Freude, den Menschen Angst einzujagen?«
»Nein, es macht mir Freude, Menschen zu töten.« Sein Mund zuckte. »Verzieh dein Gesicht, so viel du willst, aber erspare mir diese falsche Frömmigkeit. Du bist das Balg eines hohen Lords. Erzähle mir nicht, Lord Eddard Stark von Winterfell habe niemals einen Mann getötet.«
»Das war seine Pflicht. Aber es hat ihm nie gefallen.«
»Hat er dir das erzählt?« Clegane lachte erneut. »Dein Vater hat gelogen. Töten ist das Süßeste der Welt.« Er zog sein Langschwert. »Hier ist deine Wahrheit. Dein werter Vater hat das auf den Stufen von Baelor herausgefunden. Lord von Winterfell, Hand des Königs, Wächter des Nordens, der mächtige Eddard Stark aus einem Geschlecht, das achttausend Jahre alt ist … und trotzdem hat Ilyn Payns Klinge seinen Hals ganz einfach durchtrennt, nicht? Erinnerst du dich an den Tanz, den er vollführt hat, als ihm der Kopf von den Schultern fiel?«
Sansa verschränkte die Arme, weil ihr plötzlich kalt wurde. »Warum seid Ihr immer so hasserfüllt? Ich wollte Euch danken …«
»So wie einem dieser wahren Ritter, die du so sehr liebst, ja. Wozu, denkst du, ist ein Ritter da , Mädchen? Meinst du, es geht dabei bloß um die Gunst einer Dame und eine prächtige goldene Rüstung? Ritter sind dazu da, um zu töten .« Er legte ihr die Klinge des Langschwerts knapp unter dem Ohr an den Hals. Sansa spürte die Schärfe der Klinge. »Ich habe meinen ersten Mann mit zwölf getötet. Inzwischen habe
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