Das Lied von Eis und Feuer 04 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 04 - A Clash of Kings (Pages 332-728)
Gischttrinker. Theon hatte ihm die Aufgabe zugewiesen, die Schiffe zu bewachen, sonst hätten die Männer Dagmer für den Sieg gefeiert, nicht ihn. Ein empfindlicherer Mann hätte das als Herabsetzung betrachtet, doch Spaltkinn hatte nur gelacht.
»Der Tag ist unser«, rief Dagmer herunter. »Und dennoch lächelst du nicht, Junge. Die Lebenden sollten lächeln, denn die Toten können es nicht mehr.« Er lächelte selbst, um ihm zu zeigen, wie man das machte. Es war ein entsetzlicher Anblick. Unter einer schneeweißen Haarmähne trug Dagmer Spaltkinn die fürchterlichste Narbe, die Theon je gesehen hatte, das Vermächtnis einer Langaxt, die ihn als Junge beinahe getötet hatte. Der Hieb hatte Dagmer das Kinn und die Vorderzähne zertrümmert und ihm vier Lippen beschert, wo andere nur zwei hatten. Ein zotteliger Bart wuchs ihm auf Wangen und Hals, jedoch nicht über der Narbe, und so zerteilte ein Streifen knotigen Fleisches das Gesicht wie eine Gletscherspalte einen Schneehang. »Wir haben sie singen gehört«, sagte der alte Krieger. »Es war ein hübsches Lied, und sie haben es tapfer gesungen.«
»Sie konnten besser singen als kämpfen. Harfen hätten ihnen genauso viel genutzt wie Lanzen.«
»Wie viele Männer sind gefallen?«
»Von unseren?« Theon zuckte die Achseln. »Todric. Ich habe ihn getötet, weil er sich betrunken hat und um die Beute stritt.«
»Manche Männer sind zum Sterben geboren.« Ein geringerer Mann hätte sich vielleicht geschämt, dieses entsetzliche Lächeln zu zeigen, doch Dagmer grinste häufiger und breiter, als Lord Balon es jemals getan hatte.
Wenngleich das Lächeln hässlich war, beschwor es doch hundert Erinnerungen herauf. Theon hatte es in seiner Kindheit so oft gesehen, wenn er mit einem Pferd über eine moosige Mauer sprang oder eine Axt schwang und ein Ziel in zwei Hälften spaltete. Er hatte es gesehen, wenn er einen Hieb von Dagmers Schwert abwehrte, wenn er eine Möwe mit einem Pfeil in den Flügel traf, wenn er das Ruder ergriff und ein Langschiff sicher durch Gischt umschäumte Felsen lenkte. Er hat mich öfter angelächelt als Vater und Eddard Stark zusammen. Sogar Robb … An dem Tag, an dem er Bran vor
dem Wildling rettete, hatte er ein Lächeln verdient, doch stattdessen hatte man ihn gescholten wie einen Koch, der das Essen hat anbrennen lassen.
»Ich muss mit dir reden, Onkel«, sagte Theon. Dagmer war nicht sein richtiger Onkel, sondern nur ein Gefolgsmann seines Vaters, der vor vier oder fünf Generationen ein Quäntchen Graufreudblut mitbekommen hatte, und das zudem noch von der falschen Seite. Dennoch hatte Theon ihn schon immer Onkel genannt.
»Komm zu mir auf Deck.« Dagmer nannte niemanden Mylord , wenn er auf den Planken seines eigenen Schiffes stand. Auf den Eiseninseln galt jeder Kapitän an Bord seines Langschiffes als König.
Theon stieg mit vier großen Schritten über die Planken zur Gischttrinker hinauf, und Dagmer führte ihn nach hinten in die enge Kabine am Heck, wo der alte Mann sich ein Horn herben Bieres einschenkte und Theon das Gleiche anbot. Er lehnte ab. »Wir haben nicht genug Pferde erbeutet. Ein paar schon, aber … nun, ich werde wohl mit dem auskommen müssen, was wir haben. Weniger Männer bedeuten größeren Ruhm.«
»Wozu brauchten wir überhaupt Pferde?« Wie die meisten Eisenmänner kämpfte Dagmer lieber zu Fuß oder vom Deck eines Schiffes aus. »Pferde scheißen uns nur auf die Planken und stehen im Weg herum.«
»Wenn wir segeln würden, ja«, räumte Theon ein. »Ich habe jedoch einen anderen Plan.« Er beobachtete aufmerksam, wie Dagmer das aufnahm. Ohne Spaltkinn konnte er nicht auf Erfolg hoffen. Befehlshaber hin oder her, die Männer würden ihm niemals gehorchen, wenn Aeron und Dagmer sich gegen ihn stellten – und den sauertöpfischen Priester auf seine Seite zu ziehen, hegte er nur wenig Hoffnung.
»Dein Hoher Vater hat uns befohlen, die Küste zu überfallen, mehr nicht.« Aus Augen, so bleich wie Gischt, starrte Dagmer Theon unter den buschigen weißen Brauen hervor
an. Sah er Ablehnung dort, oder doch einen Funken Interesse? Das Letztere, dachte er … hoffte er …
»Du bist meines Vaters Mann.«
»Sein bester Mann, und der bin ich stets gewesen.«
Stolz, dachte Theon. Er ist eitel, das muss ich ausnutzen, sein Stolz ist der Schlüssel. »Auf den Eiseninseln gibt es keinen Mann, der so gut mit Speer und Schwert umgehen kann.«
»Du warst zu lange fort, Junge. Als du weggegangen bist, stimmte, was du
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