Das Lied von Eis und Feuer 04 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 04 - A Clash of Kings (Pages 332-728)
verlangsamen. Je größer das Heer, desto länger wird es brauchen. So leer wie das Land ist, beabsichtigen sie offenbar, ihre Frauen mitzunehmen. Und ihre Jungen und das Vieh ebenfalls … habt Ihr schon einmal eine Ziege gesehen, die eine Leiter hinaufklettert? Oder ein Seil? Sie müssen also eine Treppe oder eine
große Rampe bauen … Das wird mindestens einen Mondwechsel dauern, vielleicht sogar länger. Manke wird wissen, dass er am besten unter der Mauer hindurchkommt. Durch ein Tor oder …«
»Eine Bresche.«
Mormont hob abrupt den Kopf. »Was?«
»Sie haben nicht vor, die Mauer zu erklimmen oder sich hindurchzugraben, Mylord. Sie wollen sie brechen.«
»Die Mauer ist über zweihundert Meter hoch und am Fundament so dick, dass hundert Mann mit Hacke und Spaten ein Jahr bräuchten, um eine Bresche zu schaffen.«
»Trotzdem.«
Mormont zupfte an seinem Bart und runzelte die Stirn. »Wie?«
»Wie denn wohl? Durch Zauberei.« Qhorin biss die Hälfte von seinem Ei ab. »Warum sonst würde Manke sein Heer in den Frostfängen versammeln? Die sind öde und hart und einen langen harten Marsch von der Mauer entfernt.«
»Ich hatte gehofft, er wäre nur in die Berge gezogen, um sich und sein Heer vor meinen Grenzern zu verbergen.«
»Vielleicht stimmt das ja«, sagte Qhorin und aß die zweite Hälfte des Eis, »aber an dieser Sache ist noch mehr dran, glaube ich. Er hat etwas gesucht an diesem kalten Ort im Gebirge. Etwas, das er braucht.«
»Etwas?« Mormonts Rabe hob den Kopf und krächzte. Der Schrei klang in der Enge des Zeltes so scharf wie ein Messer.
»Irgendeine Macht. Was auch immer es ist, unser Gefangener konnte es nicht sagen. Möglicherweise sind wir beim Verhör zu heftig vorgegangen, und er hätte uns vor seinem Tod noch einiges verraten können. Dennoch bezweifele ich, dass er darüber Bescheid wusste.«
Jon hörte den Wind von draußen. Er machte ein hohes, hohles Geräusch, wenn er durch die Steine der Ringmauer pfiff und an den Zeltleinen zerrte. Mormont rieb sich nachdenklich
den Mund. »Eine Macht«, wiederholte er. »Darüber muss ich mehr erfahren.«
»Dann solltet Ihr Kundschafter in die Berge schicken.«
»Ich bin nicht willens, das Leben weiterer Männer zu riskieren. «
»Was uns erwartet, ist höchstens der Tod. Warum legen wir sonst das Schwarz an, wenn nicht, um bei der Verteidigung des Reiches zu sterben? Ich würde fünfzehn Mann entsenden, in drei Gruppen zu fünf. Eine zieht am Milchwasser hinauf, eine nimmt den Klagenden Pass, und eine erklimmt die Treppe des Riesen. Jarman Bockwell, Thoren Kleinwald und ich führen jeweils den Befehl. So erfahren wir wenigstens, was in den Bergen auf uns lauert.«
»Lauert«, kreischte der Rabe. »Lauert.«
Aus des Lord Kommandanten Brust löste sich ein tiefer Seufzer. »Ich sehe keine andere Möglichkeit«, gestand er, »doch wenn Ihr nicht zurückkehrt …«
»Irgendwer wird aus den Frostfängen herunterkommen, Mylord«, antwortete der Grenzer. »Wenn wir es sind, gut und schön. Wenn nicht, wird es Manke Rayder sein, dem Ihr mitten im Weg sitzt. Er kann nicht nach Süden weitermarschieren und Euch in seinem Rücken lassen, damit Ihr ihm folgt und ihn von hinten angreift. Er muss angreifen. Und dieser Ort ist stark befestigt.«
»So stark befestigt nun auch wieder nicht«, erwiderte Mormont.
»Möglicherweise werden wir dann alle hier sterben. Immerhin wird unser Tod unseren Brüdern auf der Mauer wertvolle Zeit verschaffen. Zeit, die leeren Burgen zu bemannen und die Tore zuzufrieren; Zeit, die Lords und Könige zu Hilfe zu rufen; Zeit, die Äxte zu schärfen und die Katapulte zu reparieren. Unsere Leben werden den Einsatz lohnen.«
»Sterben«, murmelte der Rabe und schritt auf Mormonts Schulter hin und her. »Sterben, sterben, sterben, sterben.« Der Alte Bär saß zusammengesunken und still da, als sei die
Bürde des Sprechens plötzlich zu schwer für ihn geworden. Endlich sagte er: »Mögen die Götter mir vergeben. Wählt Eure Männer aus.« Qhorin Halbhand drehte den Kopf. Sein Blick suchte Jons, und der Mann starrte den Jungen lange an. »Sehr gut. Ich wähle Jon Schnee.«
Mormont blinzelte. »Der ist noch ein halber Knabe. Und außerdem mein Knappe. Nicht einmal ein Grenzer ist er.«
»Tollett kann sich ebenso gut um Euch kümmern, Mylord. « Qhorin hob die verstümmelte Hand mit den zwei Fingern. »Die alten Götter sind jenseits der Mauer immer noch mächtig. Die Götter der Ersten Menschen … und die Götter der
Weitere Kostenlose Bücher