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Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell

Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell

Titel: Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R R Martin
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ihm ein Gefühl, als wäre er der Herr über diese Burg, auf eine Art und Weise, die Robb nie kennenlernen würde.
    Es zeigte ihm auch Winterfells Geheimnisse. Die Erbauer hatten die Erde nie geebnet. Hügel und Täler lagen unter den Mauern Winterfells. Es gab eine überdachte Brücke, die vom vierten Stock des Glockenturms zum zweiten Stock des Krähenhorsts führte. Davon wusste Bran. Und er wusste, wie man hinter die innere Mauer am südlichen Tor gelangte, drei Stockwerke hinaufkletterte und durch einen schmalen Gang im Stein ganz Winterfell umrunden konnte, um dann auf Bodenhöhe am nördlichen Tor herauszukommen, wo die Mauer hundert Fuß über einem aufragte. Nicht einmal Maester Luwin wusste das, davon war Bran überzeugt.
    Seine Mutter fürchtete, dass Bran eines Tages von einer Mauer rutschen und dabei zu Tode stürzen könne. Er versicherte ihr, das würde nicht passieren, doch glaubte sie ihm nie. Einmal hatte sie ihm das Versprechen abgenötigt, am Boden zu bleiben. Er hatte es geschafft, dieses Versprechen fast zwei Wochen lang einzuhalten, auch wenn er sich die ganze Zeit schrecklich gefühlt hatte, bis er eines Abends aus dem Fenster seines Schlafzimmers geklettert war, während seine Brüder schliefen.
    In einem Anfall von Schuldgefühlen beichtete er sein Vergehen am nächsten Tag. Lord Eddard befahl ihn in den Götterhain, wo er sich reinwaschen sollte. Wachen wurden aufgestellt, um dafür zu sorgen, dass Bran die ganze Nacht allein dort blieb und über seinen Ungehorsam nachdachte. Am nächsten Morgen war Bran nirgends zu sehen. Man fand ihn
schließlich schlafend in den obersten Ästen des höchsten Wachbaumes im Hain.
    So zornig er auch sein mochte, konnte sein Vater darüber doch nur lachen. »Du bist nicht mein Sohn«, erklärte er Bran, als man ihn herunterholte, »du bist ein Eichhörnchen. So sei es denn. Wenn du klettern musst, dann klettere, nur achte darauf, dass deine Mutter dich nicht sieht.«
    Bran gab sein Bestes, obwohl er nicht glaubte, sie je wirklich täuschen zu können. Da sein Vater es ihm nicht verbieten wollte, wandte sie sich anderen zu. Die Alte Nan erzählte ihm die Geschichte von einem kleinen Jungen, der zu hoch geklettert war und von einem Blitz getroffen wurde, woraufhin die Krähen kamen und ihm die Augen aushackten. Bran blieb unbeeindruckt. Oben auf der Turmruine gab es Krähennester, zu denen außer ihm nie jemand vorstieß, und manchmal füllte er seine Taschen mit Körnern, bevor er hinaufkletterte, und die Krähen fraßen ihm direkt aus der Hand. Keine hatte je auch nur das geringste Interesse daran gezeigt, ihm die Augen auszuhacken.
    Später töpferte Maester Luwin die Figur eines kleinen Jungen, zog ihr Brans Kleider über und warf sie von der Mauer hinunter auf den Hof, um zu demonstrieren, was geschah, falls Bran einmal fallen sollte. Das hatte Spaß gemacht, doch danach hatte Bran den Maester nur angesehen und gesagt: »Ich bin nicht aus Lehm. Und außerdem falle ich nicht herunter. «
    Dann jagten ihn die Wachen eine Weile jedes Mal, wenn sie ihn auf den Dächern sahen, und versuchten, ihn herunterzuholen. Das war die allerbeste Zeit. Es war, als spielte man mit seinen Brüdern ein Spiel, nur dass Bran hierbei stets gewann. Keiner der Wachmänner konnte so gut klettern wie Bran, nicht einmal Jory. Die meiste Zeit sahen sie ihn ohnehin nicht. Die Menschen sehen nicht nach oben. Das war noch etwas, das ihm am Klettern so gefiel. Fast war es, als wäre man unsichtbar.
    Er mochte auch, wie es sich anfühlte, wenn er sich Stein
für Stein an einer Mauer hochzog und sich Finger und Zehen hart in die kleinen Spalten dazwischen gruben. Stets zog er seine Stiefel aus und ging barfuß, wenn er kletterte, denn es gab ihm das Gefühl, als besäße er vier Hände statt zwei. Er mochte den tiefen, süßen Schmerz, der danach in den Muskeln zurückblieb. Er mochte es, wie die Luft dort oben roch, süß und kalt wie ein Winterpfirsich. Er mochte die Vögel: die Krähen in der Turmruine, die winzig kleinen Spatzen, die in den Spalten zwischen den Steinen nisteten, die alte Eule, die auf dem staubigen Dachboden über der alten Waffenkammer schlief. Bran kannte sie alle.
    Vor allem aber suchte er gern Orte auf, die keinem anderen zugänglich waren, und von dort aus betrachtete er das graue Winterfell, wie niemand sonst es sah. Dadurch wurde die ganze Burg zu Brans geheimem Ort.
    Am liebsten war ihm die Turmruine. Einst war sie ein Wachturm gewesen, der höchste von ganz

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