Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell
Reise war der Wein ein selten süßer Rebensaft von den Sommerinseln, den er den ganzen Weg von Casterlystein in den Norden mitgenommen hatte, und das Buch eine Abhandlung zu Geschichte und Eigenschaften der Drachen. Mit Lord Eddard Starks Erlaubnis hatte Tyrion einige seltene Bände aus der Bibliothek von Winterfell für die Reise in den Norden entliehen.
Er fand eine bequeme Stelle etwas abseits des Lagerlärms, an einem rauschenden Bach, dessen Fluten klar und kalt wie Eis waren. Eine Eiche von bizarrem Alter bot ihm Schutz vor
dem schneidenden Wind. Tyrion wickelte sich mit dem Rücken am Stamm in sein Fell, nahm einen Schluck Wein und begann, über die Eigenschaften von Drachenknochen nachzulesen. Drachenknochen ist schwarz wegen seines hohen Eisengehalts, las er in dem Buch. Er ist hart wie Stahl, doch leichter und weit biegsamer und natürlich Feuer gegenüber gänzlich unempfindlich. Bogen aus Drachenknochen sind bei den Dothraki hoch geschätzt, was nicht verwundern kann. Ein damit bewehrter Bogenschütze schießt weiter als mit jedem Holzbogen.
Drachen übten auf Tyrion eine morbide Faszination aus. Als er für die Hochzeit seiner Schwester mit Robert Baratheon zum ersten Mal nach Königsmund gekommen war, hatte er darauf bestanden, die Drachenschädel zu besichtigen, die an den Wänden des Thronsaals der Targaryen gehangen hatten. König Robert hatte sie durch Banner und Wandteppiche ersetzt, doch Tyrion war derart beharrlich geblieben, bis er die Schädel schließlich in dem feuchten Keller aufspürte, wo man sie lagerte.
Er hatte erwartet, dass sie eindrucksvoll wären, vielleicht sogar beängstigend. Er hatte nicht gedacht, dass sie wunderschön sein würden. Und doch waren sie es. Schwarz wie Onyx, blank poliert, sodass der Knochen im Fackelschein zu schimmern schien. Sie liebten das Feuer, das spürte er. Er hatte seine Fackel ins Maul eines der größeren Schädel gesteckt, dass die Schatten an der Wand dahinter hüpften und tanzten. Die Zähne waren lange, gebogene Dolche von schwarzem Diamant. Die Flamme der Fackel konnte ihnen nichts anhaben. Sie hatten schon der Hitze weit heißerer Feuer widerstanden. Als er von ihnen zurückgetreten war, hätte Tyrion schwören können, dass die leeren Augenhöhlen des Untiers ihn beobachteten.
Es waren neunzehn Schädel. Der älteste war über dreitausend Jahre alt, der jüngste nur anderthalb Jahrhunderte. Die jüngeren waren auch die kleinsten, ein gleiches Paar, nicht größer als Schädel von Mastiffs, und seltsam missgebildet, alles, was von den letzten beiden frisch Geschlüpften geblieben
war, die auf Drachenstein das Licht der Welt erblickt hatten. Sie waren die letzten Drachen der Targaryen gewesen, vielleicht die letzten Drachen überhaupt, und lange hatten sie nicht gelebt.
Die anderen Schädel waren größer, bis zu den drei Ungeheuern aus Liedern und Legenden, die Drachen, die Aegon Targaryen und seine Schwestern in alten Zeiten auf die Sieben Königslande losgelassen hatten. Die Sänger hatten ihnen Namen von Göttern gegeben: Balerion, Meraxes, Vhagar. Tyrion hatte zwischen ihren klaffenden Kiefern gestanden, wortlos und staunend. Man hätte auf einem Pferd in Vhagars Schlund reiten können, obwohl man wohl kaum wieder herausgekommen wäre. Meraxes war sogar noch größer. Und der größte von allen, Balerion, der Schwarze Schrecken, hätte einen ganzen Auerochsen am Stück verschlingen können, oder vielleicht sogar eines dieser haarigen Mammuts, welche die kalte Einöde jenseits des Hafens von Ibben durchstreiften.
Lange stand Tyrion in diesem feuchten Keller, starrte Balerions Schädel mit den leeren Augen an, bis seine Fackel abgebrannt war, versuchte, die Größe des lebenden Tieres zu begreifen, sich vorzustellen, wie es ausgesehen haben musste, wenn es seine großen, schwarzen Flügel ausbreitete und Feuer speiend am Himmel schwebte.
Sein entfernter Vorfahr König Loren vom Stein hatte versucht, dem Feuer zu widerstehen, als er sich König Mern von der Weite anschloss, um sich der Eroberung durch die Targaryen zu widersetzen. Das lag fast dreihundert Jahre zurück, als die Sieben Königslande noch wirklich Königslande waren und nicht bloß Provinzen eines größeren Reiches. Gemeinsam hatten die zwei Könige sechshundert Vasallen, fünftausend Ritter zu Pferd und zehn Mal so viele Freie und Soldaten. Aegon Drachenlord besaß vielleicht ein Fünftel davon, so sagten die Chroniken, und die meisten waren Einberufene aus den Reihen
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