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Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell

Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell

Titel: Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R R Martin
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monströser Holzkräne standen dort oben Wache wie die Skelette großer Vögel, und unter ihnen liefen Männer in Schwarz, klein wie Ameisen.
    Als er dort vor der Waffenkammer stand und aufblickte, war Jon fast so überwältigt wie an jenem Tag auf dem Königsweg, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. So war die Mauer. Manchmal konnte er fast vergessen, dass sie da war, wie man auch den Himmel oder die Erde unter seinen Füßen vergaß, doch dann wieder gab es Augenblicke, in denen es schien, als gäbe es nichts anderes auf der Welt. Sie war älter als die Sieben Königslande, und wenn er darunter stand und aufblickte, wurde Jon ganz schwindlig. Er konnte das Gewicht des Eises spüren, das auf ihr lastete, als wollte sie umstürzen, und irgendwie wusste Jon, dass, wenn sie fiele, die Welt mit ihr fallen musste.

    »Man fragt sich, was dahinter liegt«, sagte eine vertraute Stimme.
    Jon sah sich um. »Lennister. Ich habe Euch gar nicht gesehen … ich meine, ich dachte, ich wäre allein.«
    Tyrion Lennister war derart dick in Felle gewickelt, dass er wie ein sehr kleiner Bär aussah. »Es hat viel Gutes an sich, Leute zu überraschen. Man weiß nie, was man erfährt.«
    »Von mir erfahrt Ihr nichts«, erklärte Jon. Seit dem Ende der Reise hatte er den Zwerg nur selten getroffen. Als Bruder der Königin war Tyrion Lennister Ehrengast der Nachtwache. Der Lord Kommandant hatte ihm Räume im Königsturm gegeben – der so hieß, obwohl seit hundert Jahren kein König mehr hier gewesen war –, und Lennister speiste an Mormonts Tisch und verbrachte seine Tage mit Ritten auf der Mauer und seine Abende beim Würfeln und Trinken mit Ser Allisar und Bowen Marsh und den anderen hohen Offizieren.
    »Oh, ich erfahre überall etwas, wohin ich auch gehe.« Der kleine Mann deutete mit einem knorrigen, schwarzen Gehstock zur Mauer hinauf. »Wie ich schon sagte … warum ist es so, dass, wenn einer eine Mauer baut, der nächste sofort wissen will, was sich auf der anderen Seite befindet?« Er neigte den Kopf und sah Jon mit seinen seltsam ungleichen Augen an. »Du willst doch wissen, was auf der anderen Seite ist, oder?«
    »Da ist nichts Besonderes«, sagte Jon. Er wollte mit Benjen Stark auf dessen Streifzüge gehen, tief in die Geheimnisse des Verfluchten Waldes, wollte Manke Rayders Wildlinge bekämpfen und das Reich gegen die Anderen schützen, doch war es besser, nicht davon zu sprechen, was man sich wünschte. »Die Grenzwachen sagen, dort gäbe es nur Wald und Berge und gefrorene Seen mit viel Schnee und Eis.«
    »Und die Grumkins und die Snarks«, fügte Tyrion hinzu. »Die wollen wir doch nicht vergessen, Lord Schnee, denn wozu ist dieses Ding sonst da?«
    »Nennt mich nicht Lord Schnee.«

    Der Zwerg zog eine Augenbraue hoch. »Möchtest du lieber Gnom genannt werden? Zeig ihnen, dass ihre Worte dich treffen, und du wirst nie ohne ihren Spott sein. Wenn sie dir einen Namen geben wollen, nimm ihn an, mach ihn zu deinem eigenen. Dann können sie dich nicht mehr treffen.« Er wedelte mit seinem Stock. »Komm, geh ein Stück mit mir. Mittlerweile dürfte im Speisesaal irgendein abscheulicher Eintopf serviert werden, und ich könnte eine Schale mit irgendetwas Warmem gebrauchen.«
    Auch Jon war hungrig, also blieb er an Lennisters Seite, ging langsam, um sich den unbeholfenen, watschelnden Schritten des Zwergs anzupassen. Wind kam auf, und sie konnten hören, wie die alten Holzbauten um sie herum zu knarren begannen, und in der Ferne schlug ein vergessener Fensterladen, immer und immer wieder. Einmal tat es einen dumpfen Schlag, als Schnee von einem Dach rutschte und neben ihnen landete.
    »Ich sehe deinen Wolf nicht«, sagte Lennister im Gehen.
    »Ich kette ihn in den alten Ställen an, wenn wir uns im Schwertkampf üben. Sie haben jetzt alle Pferde in den Ostställen untergebracht, und so stört ihn niemand. Den Rest der Zeit ist er bei mir. Meine Schlafzelle ist in Hardins Turm.«
    »Das ist der mit den geborstenen Zinnen, nicht? Zerschlagener Stein im Hof darunter und schief wie unser edler König Robert nach gut durchzechter Nacht? Ich dachte, diese Gebäude seien längst nicht mehr bewohnt.«
    Jon zuckte mit den Achseln. »Niemand kümmert sich darum, wo man schläft. Die meisten alten Festungen stehen leer, und man kann sich irgendeine Zelle aussuchen.« Einst hatte die Schwarze Festung fünftausend kampfbereite Männer samt Pferden, Dienern und Waffen beherbergt. Inzwischen bot sie etwa einem Zehntel davon eine

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