Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell
Heimstatt, und Teile der Burg verfielen zu Ruinen.
Tyrion Lennisters Gelächter dampfte in der kalten Luft. »Ich werde deinem Vater sagen, er soll mehr Steinmetze verhaften, bevor dein Turm in sich zusammenfällt.«
Jon spürte den Spott, doch ließ sich die Wahrheit nicht verleugnen. Die Wache hatte neunzehn große Bollwerke entlang der Mauer errichtet, doch nur drei davon waren noch besetzt: Ostwacht an seiner grauen, windgepeitschten Küste, der Schattenturm direkt an den Bergen, wo die Mauer endete, und dazwischen die Schwarze Festung am Ende des Königswegs. Die anderen Festen waren lang schon verlassene, einsame, verwunschene Bauten, durch deren schwarze Fenster kalte Winde pfiffen und wo die Geister der Toten die Brustwehr bemannten.
»Es ist besser, wenn ich allein bin«, sagte Jon störrisch. »Die anderen fürchten sich vor Geist.«
»Kluge Jungs«, befand Lennister. Dann wechselte er das Thema. »Es heißt, dein Onkel sei überfällig.«
Jon erinnerte sich an seinen Wunsch, der ihm im Zorn gekommen war, das Traumbild von Benjen Stark tot im Schnee, und eilig wandte er sich ab. Der Zwerg hatte so eine Art, Dinge zu erahnen, und Jon wollte ihm das Schuldgefühl in seinen Augen nicht zeigen. »Er sagte, er wäre zu meinem Namenstag zurück«, gab er zu. Sein Namenstag war gekommen und gegangen, unbemerkt, vor vierzehn Tagen. »Sie wollten nach Ser Weymar Rois suchen; sein Vater ist Lord Arryns Vasall. Onkel Benjen sagte, sie würden vielleicht bis hin zum Schattenturm suchen müssen. Das ist ganz oben in den Bergen. «
»Wie ich höre, sind in letzter Zeit eine ganze Menge Grenzwachen verschwunden«, sagte Lennister, als sie die Stufen zum Speisesaal erklommen. Er grinste und zog die Tür auf. »Vielleicht sind die Grumkins in diesem Jahr besonders hungrig.«
Die Halle war gewaltig groß und zugig, selbst wenn ein Feuer in ihrem mächtigen Kamin prasselte. Krähen nisteten im Gebälk der hohen Decke. Jon hörte sie über sich schreien, als er eine Schale mit Eintopf und einen Brotkanten von den Köchen entgegennahm. Grenn und Kröte und einige der anderen saßen auf der Bank, die dem Feuer am nächsten
stand, lachten und verfluchten einander mit rauen Stimmen. Jon betrachtete sie nachdenklich für einen Augenblick. Dann suchte er sich einen Platz am anderen Ende der Halle, weit abseits der anderen.
Tyrion Lennister setzte sich ihm gegenüber, schnüffelte misstrauisch am Eintopf herum. »Gerste, Zwiebel, Karotte«, murmelte er. »Jemand sollte den Köchen sagen, dass eine Rübe kein Fleisch ist.«
»Es ist Hammeleintopf.« Jon zog die Handschuhe aus und wärmte seine Hände an dem Dampf, der von der Schale aufstieg. Bei diesem Duft lief ihm das Wasser im Mund zusammen.
»Schnee.«
Jon kannte Allisar Thorns Stimme, doch lag ein seltsamer Unterton darin, den er noch nie gehört hatte. Er wandte sich um.
»Der Lord Kommandant will dich sehen. Sofort.«
Einen Moment lang konnte sich Jon vor Angst nicht rühren. Warum sollte der Lord Kommandant ihn sehen wollen? Sie hatten etwas von Benjen gehört, dachte er sofort, er war tot, das Traumbild war zur Wahrheit geworden. »Ist es mein Onkel?«, platzte er heraus. »Ist er sicher heimgekehrt?«
»Der Lord Kommandant ist es nicht gewohnt zu warten«, war Ser Allisars Erwiderung. »Und ich bin es nicht gewohnt, meine Befehle von Bastarden in Frage stellen zu lassen.«
Tyrion Lennister schwang sich von der Bank und stand auf. »Hört auf, Thorn. Ihr macht dem Jungen Angst.«
»Mischt Euch nicht in Angelegenheiten, die nicht die Euren sind, Lennister. Hier ist nicht der rechte Platz für Euch.«
»Allerdings habe ich meinen Platz bei Hofe«, entgegnete der Zwerg lächelnd. »Ein Wort ins richtige Ohr, und Ihr sterbt als trauriger, alter Mann, bevor Ihr noch einen weiteren Jungen ausbilden könnt. Jetzt verratet Schnee, wieso der alte Bär ihn sehen will. Gibt es Neues von seinem Onkel? «
»Nein«, sagte Ser Allisar. »Es geht um eine ganz andere Sache.
Heute Morgen ist ein Vogel aus Winterfell eingetroffen, mit einer Nachricht, die seinen Bruder betrifft.« Er korrigierte sich. »Seinen Halbbruder.«
»Bran«, flüsterte Jon, indem er aufsprang. »Etwas ist mit Bran geschehen.«
Tyrion Lennister legte ihm eine Hand auf den Arm. »Jon«, sagte er. »Es tut mir ehrlich leid.«
Jon hörte ihn kaum. Er streifte Tyrions Hand ab und durchquerte die Halle. Er rannte, als er zu den Türen kam. Er hastete zum Turm des Kommandanten, stürmte durch alte
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