Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell
Schneewehen. Nachdem die Wachen ihn durchgelassen hatten, nahm er je zwei Stufen mit einem Satz. Als er vor dem Lord Kommandant stand, waren seine Stiefel aufgeweicht, und Jon keuchte mit wildem Blick. »Bran«, sagte er. »Was steht da über Bran?«
Jeor Mormont, Lord Kommandant der Nachtwache, war ein barscher, alter Mann mit mächtigem, kahlem Kopf und zottigem, grauem Bart. Er hielt einen Raben auf dem Arm und fütterte ihn mit Korn. »Man sagt mir, du könntest lesen. « Er schüttelte den Raben ab, und dieser flatterte mit den Flügeln und flog zum Fenster, wo er sitzen blieb und beobachtete, wie Mormont ein gerolltes Blatt Papier aus seinem Gürtel zog und es Jon reichte. »Korn«, krächzte der Rabe mit heiserer Stimme. »Korn, Korn.«
Jons Finger zeichnete die Umrisse des Schattenwolfes im weißen Wachs des aufgebrochenen Siegels nach. Er erkannte Robbs Schrift, doch schienen die Buchstaben zu verwischen und zu verlaufen, als er versuchte, sie zu lesen. Er merkte, dass er weinte. Und dann, durch seine Tränen, erkannte er den Sinn in den Worten und hob den Kopf. »Er ist aufgewacht«, sagte er. »Die Götter haben ihn zurückgegeben.«
»Verkrüppelt«, sagte Mormont. »Es tut mir leid, Junge. Lies den Rest des Briefes.«
Er sah die Worte an, doch hatten sie keine Bedeutung. Nichts hatte Bedeutung. Bran würde leben. »Mein Bruder wird leben«, erklärte er Mormont. Der Lord Kommandant
schüttelte den Kopf, nahm eine Hand voll Körner und stieß einen Pfiff aus. Der Rabe flog auf seine Schulter und schrie: »Leben! Leben!«
Jon rannte die Treppe hinunter, mit einem Lächeln auf dem Gesicht und Robbs Brief in der Hand. »Mein Bruder wird leben«, erklärte er den Wachen. Die wechselten einen Blick. Er lief in den Speisesaal zurück, wo Tyrion Lennister eben seine Mahlzeit beendete. Er packte den kleinen Mann unter den Armen, hob ihn in die Luft und drehte ihn im Kreis herum. »Bran wird leben!« , jauchzte er. Lennister machte ein verdutztes Gesicht. Jon setzte ihn ab und warf ihm das Blatt Papier in die Hände. »Hier, lest selbst«, sagte er.
Die anderen versammelten sich um sie und sahen ihn neugierig an. Jon bemerkte Grenn ein wenig abseits. Ein dicker, wollener Verband war um seine Hand gewickelt. Er wirkte unsicher und betreten, ganz und gar nicht bedrohlich. Jon ging zu ihm. Grenn wich zurück und hob die Hände. »Halt dich von mir fern, du Bastard.«
Jon lächelte ihn an. »Das mit deinem Handgelenk tut mir leid. Robb hat mit mir einmal dasselbe gemacht, nur mit einem Holzschwert. Es hat höllisch wehgetan, aber bei dir muss es noch schlimmer sein. Pass auf, wenn du willst, kann ich dir zeigen, wie man sich dagegen wehrt.«
Allisar Thorn hörte ihn. »Jetzt will Lord Schnee meinen Posten übernehmen.« Er grinste höhnisch. »Ich könnte eher einem Wolf das Jonglieren beibringen, als dass du diesem Auerochsen etwas beibringst.«
»Die Wette nehme ich an, Ser Allisar«, sagte Jon. »Ich würde nur zu gern sehen, wie Geist jongliert.«
Jon hörte, wie Grenn erschrocken Luft holte. Es wurde still.
Dann brach Tyrion Lennister in Gelächter aus. Drei der schwarzen Brüder stimmten vom Nachbartisch aus mit ein. Das Gelächter breitete sich über alle Bänke aus, bis sogar die Köche mit einstimmten. Die Vögel rührten sich auf den Dachbalken, und schließlich gluckste sogar Grenn.
Ser Allisar starrte Jon unverwandt an. Während sich das Gelächter um ihn herum ausbreitete, verfinsterte sich seine Miene, und seine Schwerthand ballte sich zur Faust. »Das war ein schwerer Fehler, Lord Schnee«, verkündete er schließlich mit der beißenden Stimme eines Feindes.
EDDARD
Wund, müde, hungrig und gereizt ritt Eddard Stark durch die hoch aufragenden Bronzetore des Roten Bergfried. Er war noch zu Pferd, träumte von einem langen, heißen Bad, gebratenem Geflügel und einem Federbett, als der königliche Haushofmeister ihm erklärte, dass der Groß-Maester Pycelle ein dringendes Treffen des Kleinen Rates einberufen habe. Die Anwesenheit der Rechten Hand sei erwünscht, sobald es konveniere. »Konvenieren würde es morgen früh«, fuhr Ned ihn an, als er abstieg.
Der Haushofmeister verneigte sich sehr tief. »Ich werde den Ratsherren Euer Bedauern zum Ausdruck bringen, Mylord. «
»Nein, verdammt«, sagte Ned. Es wäre nicht gut, den Rat zu verprellen, bevor er seine Arbeit auch nur aufgenommen hatte. »Ich werde mich mit ihnen treffen. Gebt mir nur etwas Zeit, etwas Präsentableres
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