Das Lied von Eis und Feuer 6 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 6 - A Storm of Swords. Book Three of A Song of Ice and Fire (2)
ab, aber vielleicht, wenn ihr die Knie vor mir beugt, lasse ich euch ein wenig daran schnuppern. Ihr nennt uns Diebe, aber ein
Dieb muss immerhin mutig und klug und schnell sein. Einer, der kniet, braucht bloß zu knien.«
»Harma und der Knochensack sind nicht auf Fische und Äpfel aus. Sie stehlen Schwerter und Äxte. Gewürze, Seide und Felle. Sie schnappen sich jede Münze und jeden Ring und jeden mit Edelsteinen verzierten Becher, den sie finden können, Weinfässer im Sommer und Fässer mit Fleisch im Winter, und zu jeder Jahreszeit rauben sie Frauen und verschleppen sie hinter die Mauer.«
»Und wenn schon? Ich würde mich lieber von einem starken Mann rauben lassen, als von meinem Vater einem Schwächling geschenkt zu werden.«
»Du sagst das so einfach, nur wie kannst du dir sicher sein? Was wäre, wenn du von jemandem geraubt wirst, den du hasst?«
»Er müsste schnell und schlau sein und mutig dazu, um mich zu stehlen. Also würden auch seine Söhne stark und klug werden. Warum sollte ich einen solchen Mann hassen?«
»Vielleicht wäscht er sich nie und stinkt wie ein Bär?«
»Dann würde ich ihn in einen Bach schubsen und ihm einen Eimer Wasser über den Kopf gießen. Jedenfalls sollten Männer auch nicht wie Blumen riechen.«
»Was ist verkehrt an Blumen?«
»Gar nichts, wenn man eine Biene ist. Im Bett will ich das.« Ygritte machte Anstalten, ihm in den Schritt zu greifen.
Jon packte sie am Handgelenk. »Wenn der Mann, der dich geraubt hat, nun zu viel trinken würde?«, beharrte er. »Wenn er brutal wäre oder grausam?« Er verstärkte seinen Griff, um seine Worte zu unterstützen. »Wenn er stärker wäre als du und dich gern grün und blau prügeln würde?«
»Ich würde ihm im Schlaf die Kehle durchschneiden. Du weißt gar nichts, Jon Schnee.« Ygritte wand sich wie ein Aal und zog ihren Arm zurück.
Eins weiß ich sehr wohl. Ich weiß, dass du bis ins Mark ein Wildling bist. Manchmal vergaß man das sehr leicht, wenn sie miteinander
lachten oder sich küssten. Irgendwann sagte oder tat einer von ihnen etwas Unerwartetes, und wie aus heiterem Himmel erinnerte er sich dann wieder an die Mauer zwischen ihren Welten.
»Ein Mann kann eine Frau besitzen, oder ein Mann kann ein Messer besitzen«, erklärte ihm Ygritte. »Beides zu haben kann für den Mann gefährlich werden. Das lernen schon die kleinen Mädchen von ihrer Mutter.« Trotzig hob sie das Kinn und schüttelte ihr dickes rotes Haar. »Und Männer können kein Land besitzen, genauso wenig wie das Meer oder den Himmel. Ihr Knienden glaubt das zwar, aber Manke wird es euch zeigen.«
Es war eine hübsche, mutige Aufschneiderei, trotzdem klang sie hohl. Jon blickte zurück, um sicherzugehen, dass der Magnar nicht in der Nähe war. Errok, der Große Furunkel und Hanf-Dan gingen einige Schritte hinter ihnen, beachteten die beiden jedoch nicht. Der Große Furunkel beklagte sich über seinen Hintern. »Ygritte«, sagte Jon mit gesenkter Stimme, »Manke kann diesen Krieg nicht gewinnen.«
»Kann er doch!«, behauptete sie. »Du weißt gar nichts, Jon Schnee. Du hast das freie Volk nie kämpfen sehen!«
Wildlinge fochten wie Helden oder Dämonen, je nachdem, mit wem man sich darüber unterhielt, am Ende lief es allerdings stets auf das Gleiche hinaus. Sie kämpfen mit unbesonnenem Mut, jeder Mann nur für den eigenen Ruhm. »Ich zweifle nicht an eurer Tapferkeit, aber in der Schlacht kommt es auf Disziplin an. Am Ende wird Manke verlieren, so wie alle Könige-jenseits-der-Mauer vor ihm stets verloren haben. Und dann werdet ihr sterben. Ihr alle.«
Ygritte schaute ihn so böse an, dass er fast erwartete, sie würde ihn schlagen. » Wir alle«, sagte sie. »Du auch. Du bist keine Krähe mehr, Jon Schnee. Ich habe geschworen, dass du keine mehr bist, also solltest du dich besser daran halten.« Sie drängte ihn an den Baum hinter ihm und küsste ihn mitten auf den Mund, mitten in der zerlumpten Kolonne. Jon hörte,
wie Grigg die Ziege sie anfeuerte. Jemand lachte. All dem zum Trotz erwiderte er ihren Kuss. Als sie sich schließlich voneinander lösten, errötete Ygritte. »Du gehörst mir«, flüsterte sie, »mir, und ich dir. Und wenn wir sterben, sterben wir eben. Alle Menschen müssen sterben, Jon Schnee. Aber vorher leben wir.«
»Ja.« Seine Stimme war belegt. »Vorher leben wir.«
Daraufhin grinste sie ihn an und zeigte ihm die schiefen Zähne, die er inzwischen lieben gelernt hatte. Ein Wildling bis ins Mark, dachte er erneut und
Weitere Kostenlose Bücher