Das Lied von Eis und Feuer 6 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 6 - A Storm of Swords. Book Three of A Song of Ice and Fire (2)
fragte Ygritte.
»Sie hat einmal dort übernachtet.« Die Alte Nan hatte ihm die Geschichte erzählt, und Maester Luwin hatte sie zum größten Teil bestätigt. »Alysanne, die Gemahlin von König Jaehaerys dem Schlichter. Er wurde der Alte König genannt, weil er so lange regiert hat, aber er war noch jung, als er den Eisernen Thron bestieg. In jenen Tagen war es üblich, dass der König das ganze Reich bereiste. Nach Winterfell hat er seine Königin, sechs Drachen und seinen halben Hofstaat mitgebracht. Der König hatte einige Angelegenheiten mit seinem Wächter des Nordens zu besprechen, und Alysanne wurde langweilig, also hat sie ihren Drachen Silberschwinge bestiegen und ist nach Norden geflogen, um die Mauer zu besichtigen. Dieses Dorf war einer der Orte, wo sie eingekehrt ist. Später bemalte das Volk die Spitze des Turms mit Gold, damit sie der goldenen Krone ähnelte, die die Königin bei ihrem Besuch hier getragen hatte.«
»Ich habe noch nie einen Drachen gesehen.«
»Das hat auch sonst niemand, der noch lebt. Die letzten Drachen sind vor hundert oder mehr Jahren gestorben. Aber diese Geschichte ist vorher passiert.«
»Königin Alysanne, sagst du?«
»Die Gute Königin Alysanne wurde sie später genannt. Eine der Burgen an der Mauer wurde auch nach ihr benannt. Königintor. Vorher hieß sie Schneetor.«
»Wenn sie so gut war, hätte sie die Mauer niederreißen lassen sollen.«
Nein, dachte er, die Mauer schützt das Reich. Vor den Anderen … und auch vor dir und deinesgleichen, Liebes. »Ich hatte einen Freund, der von Drachen träumte. Ein Zwerg. Er hat mir erzählt …«
»JON SCHNEE!« Einer der Thenns ragte stirnrunzelnd vor ihnen auf. »Magnar will.« Jon dachte, es könnte der gleiche Kerl sein, der ihn vor der Höhle gefunden hatte, in der Nacht, ehe
sie die Mauer hinaufgeklettert waren, sicher war er allerdings nicht. Er erhob sich. Wie gewöhnlich begleitete ihn Ygritte, woraufhin Styr meistens die Stirn runzelte, doch wenn er sie fortschicken wollte, erinnerte sie ihn daran, dass sie eine freie Frau war, keine Kniende. Sie kam und ging, wie es ihr gefiel.
Der Magnar stand unter dem Baum, der in dem Schankraum gewachsen war. Sein Gefangener kniete vor dem Kamin und war von Holzspeeren und Bronzeschwertern eingekreist. Er beobachtete Jon beim Näherkommen, sprach allerdings kein Wort. Der Regen rann an den Wänden herab und prasselte auf die wenigen letzten Blätter, die noch an den Ästen hingen, derweil dicker Rauch von dem Feuer aufstieg.
»Er muss sterben«, sagte Styr der Magnar. »Tu du es, Krähe.«
Der alte Mann sagte noch immer nichts. Er blickte Jon nur an, während dieser mitten zwischen den Wildlingen stand. Im Regen und Rauch, nur vom Feuerschein erhellt, konnte er nicht erkennen, dass Jon unter der Schafsfelljacke nur schwarz trug. Oder doch?
Jon zog Langklaue aus der Scheide. Regen nässte das Schwert, und der Feuerschein spiegelte sich stumpforangefarben in der Klinge. So ein kleines Feuer, und trotzdem kostet es diesen Mann das Leben. Er erinnerte sich daran, was Qhorin Halbhand ihm erklärt hatte, als sie das Feuer im Klagenden Pass entdeckt hatten. Hier oben heißt Feuer Leben, hatte er ihnen eingeschärft, aber es kann auch den Tod bedeuten. Das war allerdings hoch oben in den Frostfängen gewesen, in der gesetzlosen Wildnis jenseits der Mauer. Jetzt befanden sie sich in der Schenkung, die von der Nachtwache und der Macht von Winterfell beschützt wurde. Ein Mann sollte hier die Freiheit haben dürfen, ein Feuer anzuzünden, ohne dafür sterben zu müssen.
»Warum zögerst du?«, fragte Styr. »Töte ihn, dann hast du es hinter dir.«
Selbst jetzt sagte der Gefangene noch kein Wort. »Gnade«,
hätte er betteln können, oder: »Ihr habt schon mein Pferd, mein Geld, meine Vorräte, lasst mir bitte wenigstens mein Leben«, oder: »Nein, bitte, ich habe euch doch nichts zu Leide getan.« Tausend verschiedene Dinge hätte er sagen, weinen oder seine Götter anrufen können. Worte würden ihn jetzt allerdings nicht mehr retten. Vielleicht wusste er das. Daher hielt er den Mund und schaute Jon nur anklagend und flehend an.
Du wirst tun, was sie von dir verlangen. Reite mit ihnen, iss mit ihnen, kämpfe mit ihnen … Aber dieser alte Mann leistete keinen Widerstand. Er hatte einfach nur Pech gehabt, das war alles. Wer er war, woher er kam, wohin er auf seinem armseligen Pferd reiten wollte … Das alles hatte nichts zu sagen.
Er ist ein alter Mann, redete Jon sich
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