Das Lied von Eis und Feuer 6 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 6 - A Storm of Swords. Book Three of A Song of Ice and Fire (2)
Meilen bis nach Yunkai. Die Stadt war aus gelben Ziegeln erbaut, nicht aus roten, ansonsten glich sie Astapor mit ihren bröckelnden Mauern und hohen Stufenpyramiden und der großen Harpyie, die über den Toren angebracht war. Die Krieger auf den Mauern und Türmen waren mit Armbrüsten und Schleudern bewaffnet. Ser Jorah und Grauer Wurm ließen Danys Soldaten aufmarschieren, Irri und Jhiqui errichteten ihren Pavillon, und sie selbst setzte sich hin und wartete.
Am Morgen des dritten Tages schwangen die Stadttore auf, und Sklaven marschierten in einer langen Reihe heraus. Dany bestieg ihre silberne Stute und ritt ihnen entgegen, um sie zu begrüßen. Während sie vorbeizogen, erklärte die kleine Missandei
ihnen, dass sie ihre Freiheit Daenerys Sturmtochter, der Unverbrannten, Königin der Sieben Königslande von Westeros und Mutter der Drachen, zu verdanken hatten.
»Mhysa!«, rief ihr ein braunhäutiger Mann zu. Er trug ein Kind auf der Schulter, ein kleines Mädchen, und dieses schrie mit dünner Stimme das gleiche Wort. »Mhysa! Mhysa!«
Dany sah Missandei an. »Was rufen sie?«
»Es ist Ghiscari, die alte reine Sprache. Es bedeutet ›Mutter‹. «
Dany fühlte, wie ein Gewicht von ihrem Herzen fiel. Ein lebendes Kind werde ich niemals gebären, erinnerte sie sich. Ihre Hand zitterte, als sie sie hob. Vielleicht lächelte sie sogar. Ja, so musste es gewesen sein, denn der Mann grinste und rief es erneut, und andere fielen mit ein. »Mhysa!«, riefen sie. »Mhysa! MHYSA!« Alle lächelten sie an, reckten ihr die Hände entgegen, knieten vor ihr nieder. » Maela!«, riefen manche, andere »Aelalla!« oder »Qathei!« oder »Tato!« , doch in welcher Sprache auch immer, stets bedeutete es das Gleiche. Mutter. Sie nennen mich Mutter.
Der Chor wurde lauter, breitete sich aus, schwoll an. Der Ruf erreichte eine solche Lautstärke, dass ihr Pferd scheute, zurückwich, den Kopf schüttelte und mit dem silbergrauen Schweif schlug. Er schwoll an, bis er die gelben Mauern von Yunkai zum Zittern zu bringen schien. Immer mehr Sklaven strömten aus den Toren, und als sie die Stadt verließen, schlossen sie sich dem Chor an. Jetzt rannten sie auf sie zu, drängten sich heran, stolperten, wollten ihre Hand berühren, ihrem Pferd über die Mähne streichen, ihre Füße küssen. Ihre armen Blutreiter konnten nicht alle zurückhalten, und sogar der Starke Belwas grunzte und knurrte verdrossen.
Ser Jorah drängte sie, sich zurückzuziehen, Dany jedoch erinnerte sich an den Traum, den sie im Hause der Unsterblichen gehabt hatte. »Sie werden mir nichts zu Leide tun«, erklärte sie ihm. »Sie sind meine Kinder, Jorah.« Lachend stieß sie dem Pferd die Fersen in die Flanken und ritt auf sie zu, und
die Glöckchen in ihrem Haar läuteten und verkündeten ihren Sieg. Erst trabte sie dahin, dann fiel sie in leichten Galopp, und schließlich galoppierte sie in voller Geschwindigkeit, und ihr Zopf flog hinter ihr her. Die Menge der befreiten Sklaven teilte sich vor ihr. »Mutter«, erscholl es aus hundert Kehlen, aus tausend, aus zehntausend. »Mutter«, sangen sie, und ihre Finger streiften ihre Beine, während sie vorbeiflog. »Mutter, Mutter, Mutter!«
ARYA
Als Arya den eigenartig geformten großen Hügel in der Ferne aufragen sah, der golden in der Nachmittagssonne glänzte, erkannte sie ihn sofort. Sie waren nach Hochherz zurückgekehrt.
Bei Sonnenuntergang waren sie oben angekommen und schlugen ihr Lager dort auf, wo ihnen kein Leid widerfahren konnte. Arya ging mit Lord Berics Knappen Ned den Kreis der Wehrholzstümpfe ab, und gemeinsam stiegen sie auf einen davon und sahen zu, wie das letzte Licht im Westen verblich. Von hier aus konnten sie im Norden einen Sturm wüten sehen, doch Hochherz erhob sich über den Regen. Allerdings nicht über den Wind; die Böen wehten so stark, dass es sich anfühlte, als stehe jemand hinter ihr und zerre an ihrem Mantel. Doch als sie sich umdrehte, war niemand da.
Geister, erinnerte sie sich. Auf Hochherz spukt es.
Sie entzündeten ein großes Feuer, und Thoros von Myr setzte sich mit gekreuzten Beinen daneben und starrte tief in die Flammen, als gäbe es nichts anderes auf der Welt.
»Was macht er da?«, wollte Arya von Ned wissen.
»Manchmal sieht er etwas in den Flammen«, erklärte ihr der Knappe. »Die Vergangenheit. Die Zukunft. Ereignisse, die sich in weiter Ferne zutragen.«
Arya blinzelte ins Feuer, ob sie ebenfalls sehen würde, was immer der Priester dort erkennen
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