Das Lied von Eis und Feuer 6 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 6 - A Storm of Swords. Book Three of A Song of Ice and Fire (2)
sie im Gemeinschaftsraum heißen gewürzten Wein tranken. Hobb würde bei seinen Töpfen stehen, Donal Noye in seiner Schmiede, Maester Aemon wäre in seinen Gemächern unter dem Rabenschlag. Und der Alte Bär? Sam, Grenn, der Schwermütige Edd, Dywen mit seinen Holzzähnen … Jon konnte nur beten, dass einigen der Grenzer die Flucht von der Faust gelungen war.
Auch an Ygritte musste er ständig denken. Er erinnerte sich an den Geruch ihres Haares, an die Wärme ihres Körpers … und an ihren Gesichtsausdruck, als sie dem alten Mann die
Kehle durchgeschnitten hatte. Es war falsch, sie zu lieben, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Es war falsch, sie zu verlassen, behauptete eine andere. Er fragte sich, ob sein Vater ähnlich hin- und hergerissen gewesen war, als er Jons Mutter wegen Lady Catelyn verlassen hatte. Er hat Lady Stark die Treue gelobt und ich der Nachtwache.
Durch Mulwarft wäre er beinahe einfach hindurchgeritten, denn wegen des Fiebers begriff er nicht, wo er war. Der größte Teil der Ortschaft war unter der Erde verborgen, nur ein paar kleine Hütten ließen sich im Licht des abnehmenden Mondes erkennen. Das Bordell war eine kleine Kate, nicht größer als ein Abtritt, die rote Laterne schwang quietschend im Wind wie ein blutunterlaufenes Auge, das in die Schwärze starrte. Jon stieg bei dem zugehörigen Stall ab, stürzte dabei fast vom Rücken der Stute und weckte zwei Burschen mit einem lauten Ruf. »Ich brauche ein neues Pferd mit Sattel und Zaumzeug«, erklärte er ihnen in einem Ton, der keine Widerrede duldete. Sie brachten ihm das Gewünschte, dazu auch einen Schlauch Wein und einen halben Laib braunes Brot. »Weckt das Dorf auf«, befahl er ihnen. »Warnt sie. Es sind Wildlinge im Süden der Mauer unterwegs. Sammelt eure Habseligkeiten und sucht Schutz in der Schwarzen Festung.« Er hievte sich auf den schwarzen Wallach, den sie ihm gegeben hatten, biss vor Schmerz die Zähne zusammen und ritt in scharfem Galopp nach Norden.
Als die Sterne am östlichen Himmel verblassten, tauchte die Mauer vor ihm auf und ragte über Bäumen und morgendlichen Nebelbänken auf. Das Mondlicht schimmerte hell auf dem Eis. Er trieb den Wallach über die schlammige, rutschige Straße, bis er die Steintürme und hölzernen Hallen der Schwarzen Festung erblickte, die wie zerbrochene Spielzeuge unterhalb der riesigen Eisklippe lagen. Inzwischen leuchtete die Mauer im ersten Licht der Dämmerung rosa und purpurn.
Kein Wachposten rief ihn an, als er an den Außengebäuden vorbeiritt. Niemand trat vor, um ihm den Weg zu versperren.
Die Schwarze Festung schien genauso eine Ruine zu sein wie Grauwacht. In den Höfen wuchs braunes Unkraut zwischen den Ritzen der Pflastersteine. Alter Schnee bedeckte das Dach der Unterkünfte und hatte sich als Verwehung an der Nordseite von Hardins Turm abgelagert, in dem Jon geschlafen hatte, ehe er zum Burschen des Alten Bären ernannt worden war. Finger aus Ruß verunzierten den Turm des Lord Kommandanten, wo der Rauch aus den Fenstern gewallt war. Mormont war nach dem Brand in den Königsturm umgezogen, doch Jon sah auch dort kein Licht. Von hier unten konnte er auch nicht erkennen, ob zweihundertdreißig Meter über ihm Wachen auf der Mauer patrouillierten, aber er sah niemanden auf der riesigen Holztreppe, die an der Südseite des Eises, gezackt wie ein riesiger Blitzstrahl, nach oben führte.
Aus dem Schornstein der Waffenschmiede jedoch stieg Rauch auf, nur ein dünner Faden, der gegen den grauen Nordhimmel kaum zu erkennen war. Doch das reichte. Jon stieg ab und humpelte darauf zu. Die Wärme entwich durch die offene Tür wie der heiße Atem des Sommers. Drinnen betätigte der einarmige Donal Noye am Feuer die Balgen. Als er ihn hörte, blickte er auf. »Jon Schnee?«
»Genau der.« Trotz des Fiebers, der Erschöpfung, der Wunde am Bein, trotz des Magnars, des alten Mannes, trotz Ygritte und Manke und allem anderen lächelte Jon. Es war schön, zurück zu sein, schön, Noye mit seinem dicken Bauch und seinem hochgesteckten Ärmel und dem stoppeligen Kinn zu sehen.
Der Schmied ließ die Balgen los. »Dein Gesicht …«
Jon hatte sein Gesicht beinahe vergessen. »Ein Leibwechsler hat versucht, mir das Auge auszureißen.«
Noye runzelte die Stirn. »Ob mit oder ohne Narbe, ich hatte nicht mehr damit gerechnet, dieses Gesicht noch einmal wiederzusehen. Wir haben gehört, du seist zu Manke Rayder übergelaufen.«
Jon hielt sich an der Tür fest, um aufrecht stehen zu
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