Das Lied von Eis und Feuer 7 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 7 - A Feast of Crows. A Song of Ice and Fire, vol 4 (4/1)
und schenkte ein; sie sortierte die Haufen von Kleidung der Toten, leerte ihre Geldbeutel und zählte die Stapel der eigentümlichen Münzen. Jeden Morgen begleitete sie den Gütigen Mann auf seinem Rundgang durch den Tempel, um die Toten zu suchen. Leise wie ein Schatten, sagte sie zu sich und erinnerte sich an Syrio. Sie trug eine Laterne mit einer dicken Eisenblende. Bei jeder Nische öffnete sie die Blende einen Schlitz weit und hielt nach Leichen Ausschau.
Die Toten waren nie schwer zu finden. Sie kamen in das Haus von Schwarz und Weiß, beteten eine Stunde oder einen Tag oder ein Jahr lang, dann tranken sie das süße dunkle Wasser
aus dem Becken und streckten sich auf einem der Steinbetten hinter dem einen oder dem anderen Gott aus. Sie schlossen die Augen, schliefen ein und erwachten niemals wieder. »Das Geschenk des Vielgesichtigen Gottes nimmt Myriaden von Formen an«, erzählte ihr der Gütige Mann, »aber hier zeigt es sich stets milde.« Wenn sie eine Leiche fanden, sprach er ein Gebet und vergewisserte sich, dass alles Leben den Betreffenden verlassen hatte, und Arya holte die Diener, deren Aufgabe es war, die Toten in die Kellergewölbe zu tragen. Dort zogen die Akolythen die Leiche aus und wuschen sie. Die Kleidung der Toten sowie ihr Geld und ihre Wertsachen wurden in einem großen Behältnis gesammelt, um sie später zu sortieren. Das kalte Fleisch wurde nach unten in das Allerheiligste gebracht, wo nur die Priester Zutritt hatten; was dort vor sich ging, durfte Arya nicht wissen. Einmal, als sie ihr Abendessen zu sich nahm, keimte plötzlich ein fürchterlicher Verdacht in ihr, und sie legte ihr Messer hin und starrte das helle Fleisch auf ihrem Teller misstrauisch an. Der Gütige Mann las ihr das Entsetzen vom Gesicht ab. »Das ist Schweinefleisch, Kind«, sagte er, »nur Schweinefleisch.«
Ihr Bett war aus Stein und erinnerte sie an Harrenhal und das Bett, in dem sie geschlafen hatte, als sie für Wies Treppen schrubben musste. Die Matratze war mit Lumpen gefüllt, nicht mit Stroh, deshalb war sie klumpiger als die in Harrenhal, pikte jedoch nicht so sehr. Arya durfte sich so viele Decken nehmen, wie sie wollte, dicke Decken aus Wolle, rote und grüne und karierte. Und ihre Zelle hatte sie für sich allein. Dort bewahrte sie ihre Schätze auf: die Silbergabel und den Schlapphut und die fingerlosen Handschuhe, die ihr die Seeleute auf der Tochter des Titanen geschenkt hatten, ihren Dolch, ihre Stiefel und ihren Gürtel, ihren kleinen Vorrat an Münzen, die Kleider, die sie getragen hatte …
Und Nadel.
Obwohl ihre Pflichten ihr wenig Zeit für Nadelarbeiten ließen, übte sie, wann immer sie konnte, und duellierte sich im
Schein einer blauen Kerze mit ihrem Schatten. Eines Nachts kam die Heimatlose zufällig vorbei und sah Arya beim Fechten. Das Mädchen sagte kein Wort, am nächsten Tag jedoch führte der Gütige Mann Arya zurück in ihre Zelle. »Du musst dich von all dem trennen«, sagte er und meinte ihre Schätze.
Arya war niedergeschlagen. »Die Sachen gehören mir.«
»Und wer bist du?«
»Niemand.«
Er nahm ihre Silbergabel in die Hand. »Dies gehört Arya aus dem Hause Stark. All diese Dinge gehören ihr. Für diese Sachen ist hier kein Platz. Und auch nicht für Arya aus dem Hause Stark. Ihr Name ist zu stolz, und für Stolz haben wir keinen Platz. Wir hier sind Diener.«
»Ich diene«, erwiderte sie verletzt. Die Silbergabel gefiel ihr.
»Du spielst nur, eine Dienerin zu sein, aber tief in deinem Herzen bist du die Tochter eines Lords. Du hast andere Namen angenommen, aber du hast sie so leichtfertig getragen wie ein Kleid. Unter ihnen versteckte sich stets Arya.«
»Ich trage keine Kleider . In einem blöden Kleid kann man nicht kämpfen.«
»Warum solltest du kämpfen wollen? Bist du ein Braavo, der durch die Gassen stolziert und auf Blut aus ist?« Er seufzte. »Ehe du aus dem kalten Becher trinkst, musst du alles, was du bist, Ihm mit den Vielen Gesichtern hingeben. Deinen Körper. Deine Seele. Dich selbst. Wenn du dich dazu nicht überwinden kannst, musst du diesen Ort verlassen.«
»Die Eiserne Münze …«
»…hat für die Überfahrt gereicht. Von nun an musst du mit deinen eigenen Mitteln bezahlen, und der Preis ist hoch.«
»Ich habe kein Gold.«
»Was wir anbieten, kann man nicht mit Gold kaufen. Der Preis ist alles von dir. Menschen wählen viele Pfade durch dieses Tal der Tränen und des Leids. Der Unsere ist der schwierigste. Wenigen ist es bestimmt, ihm
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