Das Lied von Eis und Feuer 7 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 7 - A Feast of Crows. A Song of Ice and Fire, vol 4 (4/1)
sich der Titan erhob, vor der Entlarvung von Uthero, vor der Gründung hat es uns gegeben. Wir sind in Braavos zur Blüte gelangt, hier in den Nebeln des Nordens, aber unsere ersten Wurzeln haben wir in Valyria geschlagen, unter den elenden Sklaven, die in den tiefen Minen geschuftet haben, unter den Vierzehn Flammen, die die Nächte des alten Freistaats erhellten. Die meisten Minen, die aus dem toten Gestein geschlagen sind, sind kalte, feuchte Orte, doch die Vierzehn Flammen waren lebendige Berge mit Adern aus geschmolzenem Fels und Herzen aus Feuer. Daher war es in den Minen des alten Valyria immer heiß, und die Hitze nahm zu, je tiefer die Schächte getrieben wurden, tiefer und tiefer. Die Sklaven plagten sich in einem Glutofen. Der Fels um sie herum war zu heiß, um ihn anzufassen. In der Luft lag Schwefelgestank, und die Dünste verätzten die Lungen jener, die sie einatmeten. Die Fußsohlen der Sklaven verbrannten selbst durch die dicksten Sandalen und bekamen Blasen. Wenn sie auf der Suche nach Gold eine Wand durchbrachen, stießen sie manchmal stattdessen auf Dampf, kochendes Wasser oder geschmolzenes
Gestein. Manche Schächte waren so niedrig, dass die Sklaven nicht aufrecht stehen konnten, sondern gebückt gehen oder gar kriechen mussten. Und es gab auch Würme in dieser roten Dunkelheit.«
»Regenwürmer?«
»Wür me . Feuerwürme. Manche behaupten, sie seien mit den Drachen verwandt, denn Würme speien ebenfalls Feuer. Doch anstatt durch die Lüfte zu schweben, bohren sie sich durch Stein und Erde. Wenn man den alten Erzählungen glauben darf, gab es schon Würme unter den Vierzehn Flammen, bevor die Drachen kamen. Die Jungen sind nicht größer als dein dürrer Arm, aber sie können zu ungeheuerlicher Größe heranwachsen und mögen die Menschen nicht.«
»Haben sie die Sklaven getötet?«
»In Schächten, wo der Fels voller Risse und Löcher war, wurden häufig verbrannte und verkohlte Leichen gefunden. Dennoch trieb man die Minen immer tiefer. Sklaven gingen dutzendweise zugrunde, doch ihre Herren kümmerte das wenig. Rotes Gold, gelbes Gold und Silber hielt man für wertvoller als das Leben von Sklaven, denn Sklaven waren im alten Freistaat billig. In Kriegszeiten machten die Valyrer Tausende von Sklaven. In Friedenszeiten züchteten die Valyrer sie, wenngleich man nur die Übelsten in den sicheren Tod der roten Dunkelheit schickte.«
»Haben sich die Sklaven nicht erhoben und gekämpft?«
»Einige schon«, fuhr er fort. »Revolten kamen in den Minen oft vor, aber viel wurde dadurch nicht erreicht. Die Drachenlords des alten Freistaats waren mächtige Zauberer, und gewöhnliche Menschen trotzten ihnen auf eigene Gefahr. Der erste Mann ohne Gesicht war einer derjenigen, die das Wagnis eingingen.«
»Wer war er?«, platzte Arya heraus, ehe sie recht überlegt hatte.
»Niemand«, antwortete der Gütige Mann. »Manche sagen, er sei selbst ein Sklave gewesen. Andere beharren darauf, dass
er der Sohn eines Grundbesitzers gewesen sei und von edler Herkunft. Einige werden dir sogar erzählen, er sei ein Aufseher gewesen, der aus Mitleid mit seinen Untergebenen gehandelt habe. In Wirklichkeit weiß es niemand. Wer auch immer er war, er wandelte unter den Sklaven und hörte ihre Gebete. Männer aus hundert verschiedenen Völkern arbeiteten in den Minen, und jeder betete zu seinem eigenen Gott, in seiner eigenen Sprache, und dennoch erflehten alle dasselbe. Sie baten um Erlösung, um ein Ende der Qualen. Eine Kleinigkeit, und einfach dazu. Dennoch erhörten ihre Götter sie nicht, und ihr Leid dauerte fort. Sind ihre Götter taub?, fragte er sich … bis er eines Nachts in der roten Dunkelheit zu einer Erkenntnis kam.
Alle Götter haben ihre Werkzeuge, Männer und Frauen, die ihnen dienen und helfen, ihren Willen auf Erden auszuführen. Die Sklaven riefen nicht hundert verschiedene Götter an, wie es den Anschein hatte, sondern einen einzigen Gott mit hundert verschiedenen Gesichtern … und er war das Werkzeug dieses Gottes. In dieser Nacht wählte er den elendsten der Sklaven aus, denjenigen, der am aufrichtigsten um Erlösung gebetet hatte, und befreite ihn aus seiner Knechtschaft. Das erste Geschenk war gemacht worden.«
Arya wich von ihm zurück. »Er hat den Sklaven getötet?« Das hörte sich nicht richtig an. »Er hätte die Herren umbringen sollen!«
»Auch ihnen hat er das Geschenk noch gemacht … aber das ist eine Geschichte für einen anderen Tag, eine, die man am besten niemandem
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