Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)
mit feurigen Augen und schwarzem, lockigem Haar. Ihre Haut war makellos weiß, als ob sie die Sonne mied, ihre Finger waren kräftig, die Nägel mit roter Farbe lackiert. Alles an ihr wirkte wie eine Blume, die auch in einer lichtlosen Gasse zu blühen vermochte.
Doch als es darum ging, Kleidung für A herauszusuchen, hatte die Blume Dornen bekommen. Aber was nutzten Dornen, wenn der andere stur wie ein Fels war. So hatte Anevay sich schlicht geweigert ein Kleidungsstück anzuziehen, das ihre Weiblichkeit zur Schau stellte. Es war eine spontane Eingebung gewesen, diese zu verschleiern. Sie war kein gefallener Engel mehr, sie war nicht länger ein Objekt, niemand sollte sie ansehen und sich dabei über die gierigen Lippen lecken. Dies war ihre Chance, sich eine andere Identität über die Schultern zu werfen. Einen Tarnumhang.
Dann stand sie vor dem Spiegel und erkannte sich selbst nicht wieder. Die Anzughose, das Hemd, das sie sofort aufkrempelte, die Schiebermütze, als wäre die alte A in ein neues Bild getreten, in dem man andere Farben benutzte. Sie erblickte etwas, mit dem sie leben konnte.
Als sie dann vor Leonardo Szuda stand, wusste sie, ein Teil von ihm missbilligte ihren Aufzug, doch sie erkannte auch das Glitzern von Möglichkeiten in seinen Augen. Der Mann mochte wie ein Buchhalter wirken, doch er war weit mehr als das. Und so stellte A ihn auf die Probe. Sie nannte ihn ohne jeden Respekt Leon und sie duzte ihn dabei. Es war ihre Art herauszufinden, wie wahrhaftig sein Interesse an ihr war. Für einen Moment war er erschüttert, dass sie ihn so genannt hatte, dann fing er aber seinen Groll elegant ab, packte diese Worte - da war sie sich sicher - in seinen Erinnerungsspeicher und stellte die unvermeidliche Frage: ›Bist du eine Wild One?‹
Nein!
Es war die Wahrheit.
Stille.
Nicht ein einziges Mal blinzelte sie. Dann lehnte sich Leonardo in seinen Sessel zurück und fragte, was er für sie tun könne.
A sagte es ihm. Wohlig in der Haut einer anderen, eines Kostüms, das noch keinen Namen trug.
Leon gewährte ihr den Wunsch.
Anevay stand frierend im Hinterhof und wartete. Sie beäugte die Hunde, die wie schlafendes Metall auf dem kalten Boden lagen und sie gelassen fixierten, die kupfernen Ohren angelegt, die breiten Muskeln ruhend. Sie ging näher an den Zwinger, kniete sich hin.
»Ist das wirklich alles, was ihr seid?«, flüsterte sie. A wusste nicht, wieso sie dies wissen wollte, sie wusste nur, dass es eigentlich eine Frage an sie selbst war. Der Kupferalpha erhob sich träge, kam auf sie zu, schnupperte. Ihre ungeschützte Hand ragte durch das Gitter. Das Wesen kam ganz nahe, drückte die Nase gegen ihre Hand und wich dann zurück, als müsse es gleich niesen. Die metallenen Nackenhaare stellten sich auf, hinterließen ein Reiben aus Magie und Tier. Ein Knurren folgte, Lefzen wurden gehoben. Jemand hatte spitze Zacken in die Reißzähne gefeilt.
»Oder bist du nur das, was ich bin? Eine Abnormität«
Der Blick wurde für eine Sekunde nachdenklich, die Haare senkten sich. Nur noch die linke Lefze blieb angehoben. Hinter A erklangen schwere Schritte. Sie drehte sich um und Dozer stand da. Er hatte ein müdes Gesicht, doch seine Augen waren wie die eines Raubtieres, das ruhelos war. Dass Dozer schwarz war, erschien ihr an diesem hellen Morgen wie ein Gegenteil. In der Nacht schien er besser aufgehoben. Vielleicht hatte sie mit ihrer Bitte genau diesen Rhythmus gestört? Der Hüne winkte ihr, zu folgen. A stand auf, verabschiedete sich von den Hunden und trat mit Dozer in den Tunnel auf die Straße.
Jetzt am Tag war der Theaterdistrikt wie ein schlafendes Lied. Es war verstummt, hatte sich vor dem Licht des Tages in sich selbst zurückgezogen, war nur noch eine graue Oberfläche, verbarg seine wilde Seite, sparte sie auf - für die nächste Nacht.
Dozer führte sie die Straße hinunter, zwei Blocks weiter und bog dann in eine Gasse, die ausschließlich von breiten Toren gesäumt war. Eine Garage reihte sich an die nächste. An Nummer 79 machte Dozer halt, kramte einen Schlüssel aus der Hosentasche, schloss auf und schob das Schiebetor auf. Anevay erblickte einen lindgrünen Ford Pickup Cloud, so, wie sie Farmer oft benutzten. Dozer zwängte sich in die Lücke zwischen Auto und Garagenwand und schob den Wagen aus der engen Garage.
»Wohin fahren wir?«
Dozer sah sie an, tippte zwei Mal mit der rechten Hand gegen seine dunklen Lippen. Da wusste Anevay, dass er stumm war. Es war ihr
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