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Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)

Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)

Titel: Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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wohl auch als Kühlkammer für den Sommer gedient hatte. Er nahm sein Labyrinth aus der Tasche, drückte den Mechanismus, die Wege fächerten sich auf, rasteten ein und der Bernstein begann zu leuchten. Doch auch hier war bereits jemand gewesen, die wenigen Regale waren ebenso ausgeräumt wie das ganze Haus. Er folgte dem Gang bis zu einer weiteren Treppe, die schließlich vor einer schweren Tür aus geschwärzten Eichenbohlen endete. Nordische Knotenmuster umrankten das Holz. Ein schwaches Wimmern war dahinter zu hören. Er atmete durch, dann trat er ein. Was er vorfand, erschütterte sein Herz bis ins Mark.
    Ein Stuhl war umgekippt, daneben lag eine Gestalt. Eine Frau. Vergossenes Rot. Der Geruch war grausam. Alter Weihrauch, Schweiß, Urin, Blut. Mit zwei Schritten war der Captain bei ihr, drehte sie vorsichtig um und spürte Eiseskälte in seinen Adern. Das geschundene Gesicht einer älteren Dame blickte ihn mit flatternden Lidern an. Tränen rannen über die aufgeplatzten Wangen. Mit einer sanften Geste strich er ihr graues Haar beiseite und würgte. Man hatte ihr den Mund zugenäht. Der Captain griff nach dem Dolch, doch dann sah er das Glitzern im Licht des Bernsteins. Es war Draht! Silberdraht, mit Runen versehen, nicht mit einer normalen Klinge zu durchtrennen.
    Adele Rothmann lag im Sterben. Das teure Kleid zerrissen. Ihre Pulsadern waren grob und quer geöffnet worden, der Blutstrom nur noch ein Rinnsal. Für einen Moment erlangten ihre Augen noch einmal Klarheit. Sie schien dankbar, dass er hier war, doch da lag noch etwas anderes darin. ›Warum kommen Sie so spät, Herr Captain?‹
    Er zog das Tuch runter. Selbst den Tränen nahe, nahm er sie in den Arm.
    »Es tut mir leid, es tut mir leid«, flüsterte er und spürte, wie sie sich mehr und mehr entspannte. Er konnte sie nicht heilen, kein Labyrinth zeichnen, er war zu spät gekommen, zu spät.
    Plötzlich bäumte sich die Frau auf, ihre schlaffe Hand zeichnete mit letztem Willen Buchstaben in die Blutlache, ihre Finger zitterten: K R I K …. H A F F … Sie schloss erschöpft die Augen. Mit der anderen Hand krümmte sie drei Finger, öffnete sie wieder und schloss dann zwei von ihnen. 3 und 2?  Ein letztes Stöhnen röchelte in ihrer Kehle, dann ging Adele Rothmann zu Hel.
    Robert stand auf, sackte gegen die Wand hinter ihm und ließ sich daran heruntersinken. Galle hing in seiner Speiseröhre, Spucke sammelte sich in seinem Mund, ein kalter Druck der Unwirklichkeit legte sich um ihn. Das Atmen fiel ihm schwer. Poe drückte sich an seinen Hals, wimmerte leise. Ihm wurde heiß. In jäher Hilflosigkeit riss der Lord den Dreispitz vom Kopf, warf ihn fort. Er blieb auf der letzten Treppenstufe am Eingang liegen. ›Zu spät, zu spät.‹ Keuchend ließ er den Kopf hängen, verschränkte seine Hände darüber wie eine Höhle, weil die wirbelnden Gedanken aus ihm fliehen wollten. Noch nie in seinem Leben hatte er solch sadistische Brutalität erblickt. ›Wer, bei den Göttern, war zu so etwas fähig?‹
    Robert wischte sich Rotz in den Ärmel, stand auf. Ständig musste er schlucken. Er blickte auf die leblose Frau, die so viel hatte erleiden müssen, ihre ganze Familie. ›Wieso? Wofür?‹ Es gab keine Antwort, er war kein Held. Das Labyrinth auf dem Steinboden neben ihr schimmerte noch immer, er sah dabei zu, wie ihre gezeichneten Buchstaben in dem Nass des Blutes langsam vergingen. Als wären sie nie geschrieben worden.
    ›Du bist nicht dafür verantwortlich‹, sagte eine Stimme in ihm. ›Ist das denn wichtig?‹, stach er zurück. ›Ein Mensch hat das da getan, ein Mensch steht jetzt daneben.‹
    Robert kniete sich neben Adele Rothmann. »Vergeben Sie mir, bitte.« Er nahm sein Labyrinth auf, ließ es zur Hälfte einfahren, so dass nur noch das Licht ein einsamer Weg war. Er erhob sich, ging zur Tür, hob den Hut auf, klopfte ihn am Schenkel ab. Ohne sich noch einmal umzusehen, ging er die Stufen hinauf.
     
    Er hörte ihr Lachen bis durch die Mauern.
    Kalte Wut erklomm seine Haut.
    Er stand auf dem Abbild eines Gottes, die verborgene Treppe fügte sich zurück in den Boden. Robert presste still die Kiefer aufeinander. Die Lichter, die durch die Sturmläden kamen, streiften ihn wie schimmernde Speere. Poe verkroch sich, Taris schüttelte kampfeslustig seine Flügel aus, auf einem Sockel wartend. Sein gebogener Schnabel verschmolz mit dem Zwielicht des Hauses.
    ›Wenn du jetzt nicht der Night Captain sein kannst, dann wirst du es niemals

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