Das Limonenhaus
wusste ich, dass ihre vollen Lippen ungehalten zu einer Seite ruckten.
»Weil wir vielleicht in ein Telefonbuch gucken sollten.«
»Heute hat jeder ein Handy. Telefonbücher gibt es nur in einer Bar, und die sind scheinbar alle geschlossen. Ach, ich mag diese Stadt nicht!« Sie zog die Schultern hoch, als ob ihr kalt wäre.
»Ich bin’s!«, sagte sie plötzlich, und bevor ich verstand, mit wem sie redete, sprach sie weiter: »Aha, du sitzt gerade davor. Wo ist Timmi?... Das macht überhaupt nichts, dass du nicht dazu gekommen bist. Hast du denn jetzt Zeit nachzuschauen? Danke. Genau, am besten erst mal da...«
Langsam fuhr ich weiter durch die engen Gassen und hörte zu, wie Lella buchstabierte.
»Also«, sagte sie nach einem kurzen Moment zu mir, »bei der Auslandsauskunft im Internet gibt es in Pozzo achtzehn Einträge unter ›Vinci‹. Das ist ja...«
»... überhaupt nicht viel für so ein kleines Kaff«, beendete ich leise den Satz.
Lella lächelte kurz und sprach dann wieder in ihr Handy: »Und findest du auch einen Elio?« Sie wartete. Sie sah dabei
hinreißend aus. Ich dachte an die vergangene Nacht und war einen Moment lang stolz. Vielleicht war ich es, der sie so glücklich aussehen ließ?
»Kein Elio? So ein Pech. Dafür drei Calogeros, zwei Vincenzos und vier Giovannis? Aha. Noch mehr? Na prima. Wie Brigidas Schwester heißt, weißt du nicht, oder?« Ihre dunklen Augen blitzten mich an, der letzte Satz ging also vermutlich an mich.
»Äh, du weißt, dass ich bisher keine Ahnung von der Existenz dieser Schwester hatte«, stotterte ich. »Brigida behauptete immer, sie sei ein Einzelkind.«
»Susa, einen Augenblick bitte, ich muss das mal eben hier besprechen. Was? Er heißt Phil. Philip Domin. Nein! Also«, fuhr sie, wieder zu mir gewandt, fort, »wir können die achtzehn Vincis unmöglich alle abklappern.« Lella schaute auf die Uhr. »Ich treffe mich zwar erst heute Abend um sieben mit Claudio in der Kanzlei, aber alle - das schaffen wir nicht. Nehmen wir an, die Schwester hat nicht geheiratet, dann steht sie unter dem Namen ihres Vaters darin, der dummerweise nicht eingetragen ist. Nehmen wir an, die Schwester hat geheiratet, dann trägt sie vermutlich immer noch ihren Namen und dazu den ihres Mannes, und wenn wir Glück haben, finden wir sie so.«
Sie sprach wieder in ihr Handy: »Susa, such bitte mal nach einem Doppelnamen ohne Bindestrich. Vinci und noch irgendwas und dann ein weiblicher Vorname. - Vinci Zito? Ja, zum Beispiel. Maria Concetta? Aha. Mal überlegen, nennt man die eine Tochter Maria Concetta, wenn die andere Brigida heißt? Nein, das ist zu altmodisch. Gibt’s noch einen weiblichen Vornamen? Jessica?... Jessica und Brigida, das passt. Coniglio Vinci. Perfekt, das könnte sie
sein. Jessica, das ›Kaninchen‹ Vinci. Via Dante 20. Danke, Susa, ich erzähl dir alles später.... Ja, Matilde geht es wieder gut.... Nein, das geht dich nichts an, du taktlose Frau!... Nein, auch morgen nicht. Ciao, einen dicken Kuss!«
Warum waren wir überhaupt nach Pozzo gefahren? Nur damit ich mich von Lella und Matilde nicht an irgendeinem Bahnsteig trennen musste? Irgendwann würde dieser Moment trotzdem kommen. Und wenn wir nun gleich die Eltern von Brigida finden würden, was dann? Sollte ich Lella mit Matilde einmal um den Block schicken oder sie als Dolmetscherin meinen Heiratsantrag übersetzen lassen? Undenkbar! Stopp!, wollte ich rufen, vergessen wir es, ich habe mich vertan. Was interessieren mich die Eltern, ich will diese Frau gar nicht heiraten.
»Also dann«, sagte ich stattdessen, erstaunt über das Ausmaß meiner Entschlusslosigkeit. Wir fragten uns zu der Via Dante durch. Die Straße lag in einem Neubaugebiet. »Zu verkaufen«-Zettel klebten an den Mauern der Häuser, vendesi, in Gelb, Hellblau, Rosa. Babyfarben. Vor der Nummer 20 hielten wir.
»Wollen wir nicht vorher anrufen?«
»Nein. Besser, wenn sie uns gleich sieht. Vielleicht ist sie es auch gar nicht«, sagte Lella und schaute an der Fassade des dreistöckigen Hauses hoch. Die Fensterrollläden der unteren Wohnungen waren alle heruntergelassen, verbarrikadierte Vierecke, da drinnen musste es stockdunkel sein.
»Matilde, ich bin gleich wieder da, ach...« Lella brach ihren Satz ab. Ich drehte mich zur Rückbank. Matildes Kopf hing ein wenig nach rechts, die Augen waren ihr zugefallen, der Mund war zu einem »o« geöffnet, wie ein singender
Weihnachtsengel aus Porzellan. Lella ließ die Autotür behutsam
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