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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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zusammengekniffenen Fenster-Augen abweisend auf uns herab. Auch der Gürtel aus Wohnblöcken an den Hängen der Stadt hatte nichts Einladendes an sich. Wir fuhren öde, verlassene Straßen entlang, immer den Schildern nach: »Centro storico«. Auf einem abschüssigen Platz im Zentrum hielten wir an. Eine Bar, ein Brunnen, ein Wettlokal, alles geschlossen. Das Zentrum von Pozzo war verwaist, selbst der Brunnen war stillgelegt. Langsam fuhr ich weiter. Mit den Augen schoss ich Momentaufnahmen von den wenigen Menschen, die sich zeigten. Ein alter Mann saß neben drei hellblauen Eimern auf einem Hocker an der Hauswand. Eine alte Frau ging an ihm vorbei, ihre Waden ragten unter ihrem dunklen Rock wie verbogene Holzscheite hervor. Hinter einem grobmaschigen Vorhang entdeckte ich ein Totenkopfgesicht. Dünn, wie das Leder einer Trommel, spannte
sich die Haut über die vorstehenden Wangenknochen. Seine weit aufgerissenen Augen trafen sich im Vorbeifahren für den Bruchteil einer Sekunde mit den meinen. Das Weiß der Augäpfel leuchtete auf, und der uralte, hellwache Blick brannte sich auf meiner Netzhaut ein. Unmöglich, ihn zu vergessen. Ganz sicher würde ich zurückkommen, um noch mehr dieser ernsten, faszinierenden Menschen zu fotografieren. Ich wusste jetzt, nach was ich mit meiner Kamera in ihren Gesichtern suchte, und neuerdings auch, dass ich es finden konnte!
    Ich schaute kurz zu Matilde auf die Rückbank. Sie hielt ihre Trinkflasche in der einen Hand und Bandito mit der anderen. Neugierig guckte sie aus dem Fenster. Lella fing meinen Blick auf und drückte mein Bein.
    So wie in den letzten Tagen konnte es nicht weitergehen, sagte ich mir, aber im selben Moment hoffte ich, dass es genau das tun würde. Es schien unmöglich, wieder ohne die beiden zu sein. Doch irgendwann würde ich Brigida wieder gegenüberstehen. Was, wenn mir versehentlich ihre Namen herausrutschten? Lella. Matilde, Mätti. Ich sah Brigidas Augen eng vor Eifersucht werden. Sie würde mich ausfragen, bis ich mich in meinen eigenen Sätzen verfangen hätte. Ich nahm mir vor, auf dem Rückflug Konzentrationsübungen zu machen.
    Vielleicht blieb nicht mal mehr ein ganzer Tag, den ich mit Lella und Matilde verbringen konnte. Ich hatte mich noch nicht entschieden. Doch wovon wollte ich es eigentlich abhängig machen? Heute Abend, um einundzwanzig Uhr, flog eine Maschine nach Köln, sie war noch nicht ausgebucht. Aber morgen auch eine nach Frankfurt. Und übermorgen wieder eine nach Köln. Wenn bis dahin nicht die
Fluglotsen streiken sollten. Lella hatte mir die Schlagzeilen übersetzt. Das ganze Land war bereit, sich in einen seiner langwierigen Streiks zu werfen und sich komplett lahmzulegen. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Das Leben auf Sizilien kam mir immer noch wie ein rätselhaftes Schauspiel vor, aber mit Lella als Souffleuse war es auch unwiderstehlich.
     
    »Vinci Vinci! Das wäre so, als wenn du in Deutschland herumfahren und auf der Straße nach irgendeinem Meier, Müller oder Schmidt fragen würdest.« Lella schnaubte widerwillig durch die Nase.
    »Vinci, Vinci«, sang Matilde von ihrem Sitz auf der Rückbank.
    Wir guckten uns an und lachten, bis Lella sagte: »Nein, das mache ich ganz bestimmt nicht.«
    »Dann frage ich eben. Wie sagt man das? Wie heißt das auf Italienisch?«
    »Das tust du ja doch nicht.« Lella kreuzte die Arme vor ihren herrlichen Brüsten, die ich seit heute Nacht näher kannte.
    »Bitte!«
    »Das bringt doch nichts«, insistierte sie. Doch dann gab sie nach und sprach mir den Satz langsam vor.
    Ich ließ das Fenster runter. »Den Nächsten frage ich. Den da.« Ich bremste vor dem Mann, der an einem Pfeiler lehnte. Er trug eine blaue Uniform, eine weiße Kapitänsmütze und eine ebenso weiße Kindergarten-Umhängetasche, hatte rötliche Stoppeln im Gesicht und Ringe unter den Augen - ein müder Verkehrspolizist.
    »Scusi, cerchiamo la casa del Signor Vinci, Elio Vinci«, rief ich.

    Der Rotbart kam näher, schnalzte mit der Zunge, schüttelte den Kopf und fragte seinerseits etwas.
    »Was wir von dem wollen, fragt er dich«, stöhnte Lella. »Siehst du! Wir wissen nicht, wo er wohnt, wollen aber trotzdem was von ihm, das macht uns schon verdächtig. Fahr weiter! Grazie!« Das letzte Wort galt dem schläfrigen Aushilfspolizisten.
    Ich ließ das Fenster wieder hochfahren. »Gibt es auf Sizilien noch Telefonzellen?«
    »Warum denn jetzt Telefonzellen?« Lellas Stimme zitterte nervös, und obwohl ich nicht hinschaute,

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