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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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geschickt. Brigida, warum hast du mir nicht gesagt, dass deine Eltern bei einem Unfall gestorben sind?« Ich betrachtete die weiße Nelke, die jemand an das Tor des Nachbar-Mausoleums gesteckt hatte, eine einzelne Blume, ein schlichter Gruß. Ihr Kopf hing herunter. Die Nelke machte mich trauriger als alle Gräber des Friedhofs zusammen. Vielleicht hatte da jemand einen anderen Menschen wirklich geliebt.
    »Du spionierst mir hinterher? Na, großartig! Wenn du wüsstest, wie egal mir das ist.«

    Ich wusste, wie ihr Gesicht in diesem Moment aussah: Ihre schwarz umrandeten Augen waren leicht zusammengezogen, sie hatte sich wieder voll im Griff, wartete ab, grinsend, bereit, den nächsten, hinterhältigen Satz abzuschießen. »Du stehst also auf dem Friedhof von diesem Scheißkaff und sagst mir, dass meine Eltern tot sind. Hast du sonst noch irgendwelche sinnlosen Informationen für mich?«
    Sinnlos. Genau das richtige Stichwort. Mit dem nächsten Satz würde ich alles beenden, ohne Lügen, ohne Entschuldigungen.
    »Ich werde hier bleiben. Auf jeden Fall werde ich nicht so schnell wieder nach Düsseldorf kommen, ich weiß noch nicht genau.«
    Sie schnappte sofort zurück: »Du hast jemanden kennengelernt! Wer ist sie?!«
    »Hör mal.« Ich war ein feiger Hund, ich wusste es ja. »Es hat nichts mit dir zu tun. Ich brauche eine Pause...«
    »Jetzt hörst du mal! Und zwar mir zu! Von wegen Pause - ich bin schwanger - du wirst Vater!«
    Ohne es zu wollen, zog ich einen Kreis in den Staub, leicht torkelnd, nach vorne gebeugt, wie ein Kreisel kurz vor dem Umfallen, das Handy immer noch am Ohr. Meine Kehle war trocken. »Du bist schwanger?« Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich mein Inneres vor Brigida immer sorgfältig eingepackt und geschützt hatte, wie ein Boxer seine Geschlechtsteile. Doch mit dieser Nachricht hatte sie mich genau dort getroffen.
    Ich schnappte nach Luft: »Aber das ist ja...«
    »Wenn du jetzt sagst, ›Das ist ja wundervoll!, kotze ich!«
    »Das ist ja wundervoll!« Sie liebte es, wenn man sich ihren
Anweisungen widersetzte, ein Paradoxon. Die ganze Frau war ein Widerspruch in sich.
    »Ich dachte, es interessiert dich vielleicht, auch wenn du dich tagelang nicht meldest, und außerdem...«
    Ich hielt das Handy zwischen die Gitterstäbe der Grabstätte. Ihre Stimme erzeugte ein beachtliches Echo, das von den Wänden der Totengruft abprallte. Mein Kopf war leer, nur ein alberner Gedanke kreiste darin: Nun wissen auch ihre Eltern von der Schwangerschaft. Erschrocken merkte ich, dass ich grinste. Ich hielt das Handy wieder an mein Ohr. Hatte sie mir eine Frage gestellt? Ich konnte nicht antworten. Ich bin schwanger- du wirst Vater-ich bin schwanger - du wirst Vater. Wie würde es sich anfühlen, wenn eine Frau diesen Satz eines Tages zu mir sagen sollte, hatte ich früher manchmal überlegt. In meiner Vorstellung war nur Platz für Liebe, Kniefall und Stolz gewesen. Die Wirklichkeit war etwas ganz anderes. Ich liebte sie nicht mehr und hatte dennoch ein Kind mit ihr gezeugt. Ich sah einen Zellklumpen, der sich in Sekundenschnelle teilte, Arme und Beine stülpten sich hervor, ein kleiner Molch, ein Gummibärchen. Meine Tochter. Mein Sohn. Ich war nicht in der Lage, mich von diesem heranwachsenden Wesen zu trennen, schon jetzt nicht mehr, obwohl ich noch nicht einmal ein Ultraschallfoto von ihm gesehen hatte. Niemals würde ich es Brigida überlassen können. Instinktiv hatte sie das Schlimmste herausgefunden, was sie mir antun konnte.
    »Ich rufe dich zurück«, stotterte ich und drückte auf den roten Hörer.

Kapitel 22
    LELLA
    Als ich mit Matilde an der Hand zurückkam, hatte sich Phil einige Meter von der Grabstätte der Familie Vinci entfernt. Ich konnte seinen Rücken sehen und seine dunkelblonden Haare, die gerade lang genug waren, um vom Wind ein wenig durchgestrubbelt zu werden. Da stand er. Er würde nicht zu Brigida zurückkehren, niemals. Er gehörte zu meinem neuen Leben, auf das ich in den letzten Jahren in der Küche des Salvatore und nachts vor dem Fernseher gewartet hatte, ohne es zu wissen. Meine Beine knickten vor Aufregung fast ein, und mir wurde ganz feierlich zumute. Ich war frei, frei für Matilde, frei für ihn, und mit einem Mal schwanden die zweifelnden Gefühle, und alles fühlte sich wieder richtig an, wie in den Tagen auf Salina. Mir war es gelungen, das unbeschwerte Inselgefühl zusammen mit dem Glas Kapern, dem Wein und dem wilden Fenchel einzupacken und auf diesen Friedhof

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